MAINZ // „Unsere Strategie war immer, das Infektionsgeschehen so unter Kontrolle zu halten, dass für alle schwer Erkrankten ausreichend Behandlungskapazitäten vorhanden sind. Das ist uns gelungen und das bleibt auch unser Kriterium für die Lockerungen“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer nach der mehrstündigen Videoschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder am Abend des 15. Aprils.
„Wir haben durch die Beschränkungen der vergangenen Wochen erreicht, die Infektionsgeschwindigkeit zu bremsen. Im März hat ein Erkrankter vier bis fünf Menschen angesteckt, heute liegt die Reproduktionsrate bei Neuansteckung bei eins. Wir haben durch die Sicherheitsmaßnahmen erreicht, dass heute mehr Menschen von Covid-19 wieder genesen als erkranken“, so Ministerpräsidentin Dreyer.
Ausbreitungsgeschwindigkeit begrenzt
Die Ausbreitungsgeschwindigkeit sei begrenzt, aber die Seuche noch nicht besiegt. Deshalb werde der Alltag noch lange durch den Kampf gegen das Coronavirus bestimmt. Gleichzeitig stehen man vor der Aufgabe, Schritt für Schritt das öffentliche Leben wieder zu beginnen, den Bürgern wieder mehr Freizügigkeit zu ermöglichen und das Wirtschaftsleben wieder stärker aufzunehmen. Für sie sei es wichtig, sicherzustellen, dass die Lockerungen, die am 15. April beschlossen wurden, nicht zu einem Rückschlag führen. „Deswegen liegt allem zugrunde, dass wir alle Menschen in Deutschland so gut wie möglich vor der Infektion schützen. Das gilt besonders für vorerkrankte Menschen, aber auch bei jüngeren Infizierten gibt es schwere Verläufe. Deswegen stehen für uns überall dort, wo wir die Kontaktbeschränkungen lockern, Infektionsschutz und Hygienemaßnahmen besonders im Mittelpunkt,“ so Malu Dreyer.
Weiterhin Abstandhalten
Die beschlossenen Maßnahmen im Einzelnen:
[bul]Kontaktbeschränkungen bleiben: Die wichtigste Maßnahme bleibt Abstandhalten von 1,5 Metern in der Öffentlichkeit. Dort soll man sich auch weiterhin entweder allein oder nur mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder den Angehörigen des eigenen Hausstandes aufhalten. Großveranstaltungen bleiben mindestens bis 31. August 2020 untersagt.
[bul]Ziel ist, die Verbreitung des Virus effektiv zu kennen und die Verbreitung zu verhindern, durch Ausbau der Kontaktnachverfolgung. Dafür soll eine digitale „contact tracing“ App zum Einsatz kommen und eine weitere Erhöhung der Testkapazitäten erreicht werden.
[bul]Beschaffung medizinischer Schutzausrüstung: Der Bund unterstützt die Länder sowie die kassenärztliche Vereinigung bei der Beschaffung von medizinischer Schutzausrüstung für das Gesundheitswesen. Länder und Einrichtungen werden daneben alle Anstrengungen unternehmen, selbst zu beschaffen. Neben der Beschaffung, vornehmlich im Ausland, werden auch im Inland unter Hochdruck Kapazitäten für entsprechende Produkte aufgebaut. Das vordringliche Ziel besteht in einer Vollversorgung der Einrichtungen des Gesundheitswesens und der Pflege mit medizinischen Schutzmasken, die den Träger vor Infektionen schützen.
„Für den Alltagsgebrauch gelten hinsichtlich des Tragens von Masken im öffentlichen Raum die Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes, nach denen das Tragen sogenannter (nicht medizinischer) Alltagsmasken oder Community Masken in öffentlichen Räumen das Risiko von Infektionen reduzieren kann. „Insofern wird die Nutzung von sogenannten Alltagsmasken im ÖPNV und im Einzelhandel dringend empfohlen“, so Ministerpräsidentin Malu Dreyer.
[bul]Für vulnerable Gruppen und insbesondere für Pflegeheime, Senioren- und Behinderteneinrichtungen werden weiterhin nach den jeweiligen lokalen Gegebenheiten und in den jeweiligen Institutionen besondere Schutzmaßnahmen ergriffen. Es ist jedoch zu beachten, dass diese Maßnahmen nicht zu einer vollständigen Isolation der betroffenen Personen führen dürfen. Daher soll für die jeweilige Einrichtung unter Hinzuziehung von externem Sachverstand, insbesondere von Fachärzten für Krankenhaushygiene, ein spezifisches Konzept entwickelt werden und dieses im weiteren Verlauf eng im Hinblick auf das Infektionsgeschehen im jeweiligen Umfeld weiterentwickelt und angepasst werden.
Öffnung von Schulen und kleineren Geschäften
[bul]Die Öffnung von Kindergärten, Schulen und Hochschulen bedarf eines zeitlichen Vorlaufs, damit vor Ort die notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen getroffen und zum Beispiel die Schülerbeförderung organisiert werden können. Die Notbetreuung wird fortgesetzt und ausgeweitet.
Prüfungen und Prüfungsvorbereitungen der Abschlussklassen dieses Schuljahres sollen nach entsprechenden Vorbereitungen unmittelbar wieder stattfinden. Ab dem 4. Mai können prioritär auch die Schüler der Abschlussklassen und qualifikationsrelevante Jahrgänge der allgemeinbildenden sowie berufsbildenden Schulen, die im nächsten Schuljahr ihre Prüfungen ablegen und die letzte Klasse der Grundschule beschult werden.
Die Kultusministerkonferenz wird beauftragt, bis zum 29. April ein Konzept für weitere Schritte vorzulegen, wie der Unterricht unter besonderen Hygiene- und Schutzmaßnahmen, insbesondere unter Berücksichtigung des Abstandsgebotes durch reduzierte Lerngruppengrößen, insgesamt wieder aufgenommen werden kann.
In der Hochschullehre können neben der Abnahme von Prüfungen auch Praxisveranstaltungen, die spezielle Labor- bzw. Arbeitsräume an den Hochschulen erfordern, unter besonderen Hygiene- und Schutzmaßnahmen wiederaufgenommen werden.
[bul]Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern können unter Auflagen zur Hygiene, Steuerung des Zutritts und zur Vermeidung von Warteschlangen wieder öffnen: Unabhängig von der Verkaufsfläche dürfen auch KfZ-Händler, Fahrradhändler, Buchhandlungen, Bibliotheken und Archive wieder öffnen.
[bul]Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Regierungschefs der Länder sind sich bewusst, dass die Religionsausübung ein besonders hohes Gut darstellt. Gerade vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten, die diese Epidemie und ihre Folgen für viele Menschen auslöst, kann gelebter Glaube, Kraft und Zuversicht spenden. Nach allem, was jedoch über die Rolle von Zusammenkünften bei der Verbreitung des Virus sowie über die Ansteckungsgefahr und die schweren Verläufe bei vulnerablen Gruppen bekannt ist, ist es weiter dringend geboten, sich auf die Vermittlung von religiösen Inhalten auf medialem Weg zu beschränken. Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen sowie religiöse Feierlichkeiten und Veranstaltungen und die Zusammenkünfte anderer Religionsgemeinschaften sollen zunächst nicht stattfinden.
Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Sport wird zusammen mit Ländervertretern das Gespräch mit Vertretern der Religionen aufnehmen, um einen möglichst einvernehmlichen Weg vorzunehmen.
Verantwortung für die Mitarbeiter
[bul]Auch in der Pandemie wollen wir in Industrie und Mittelstand sicheres Arbeiten möglichst umfassend ermöglichen. Ausgenommen bleiben wirtschaftliche Aktivitäten mit erheblichem Publikumsverkehr. Die Arbeitgeber haben eine besondere Verantwortung für ihre Mitarbeiter, um sie vor Infektionen zu schützen. Infektionsketten, die im Betrieb entstehen, sind schnell zu identifizieren. Deshalb muss jedes Unternehmen auch auf der Grundlage einer angepassten Gefährdungsgrundlage sowie betrieblichen Pandemieplanung ein Hygienekonzept umsetzen.
[bul]Bund und Länder unterstützen die Wirtschaft, gestörte internationale Lieferketten wiederherzustellen. Dafür richten sie Kontaktstellen für die betroffenen Unternehmen ein.
Reisewarnung und Quarantäne
[bul]Um eine weitere Ausbreitung des Virus möglichst zu verhindern, bleiben die Bürger aufgefordert, generell auf private Reisen und Besuche – auch von Verwandten – zu verzichten. Das gilt auch im Inland und für überregionale tagestouristische Ausflüge. Die weltweite Reisewarnung bleibt aufrechterhalten. Übernachtungsangebote im Inland werden weiterhin nur für notwendige nicht touristische Zwecke zur Verfügung gestellt.
Für Ein- und Rückreisende bleibt weiter eine zweiwöchige Quarantäne nach den Bestimmungen der vorm Bund vorgegebenen Musterverordnung vom 8. April 2020 vorgesehen. Für den Warenverkehr, für Pendler und andere beruflich Reisende bleibt die Einreise nach Deutschland und die Ausreise aus Deutschland weiter wie bisher grundsätzlich möglich.
[bul]Im weiteren Verlauf muss berücksichtigt werden, dass die Epidemie sich in Deutschland nicht gleichmäßig ausbreitet. Während einige Landkreise gar nicht betroffen sind, kommt es in anderen Regionen zu Überlastungen im Gesundheitswesen und dem öffentlichen Gesundheitsdienst. Deshalb werden Bund und Länder schnell abrufbare Unterstützungsmaßnahmen für besonders betroffene Gebiete bereitstellen und stimmen sich dabei mit den Krisenstäben von Bund und Ländern eng ab.
[bul]Der Impfstoffentwicklung kommt eine zentrale Bedeutung zu. Mit Unterstützung von Forschungseinrichtungen von Bund und Ländern wird eine SARS.CoV-2-Datenbank aufgebaut, in der stationäre Behandlung dokumentiert und ausgewertet werden.
Fazit der Ministerpräsidentin
Als Fazit stellt Malu Dreyer fest: „Mit diesem Beschluss ergreifen Bund und Länder zahlreiche Maßnahmen, um die Infektionsketten besser kontrollieren zu können. Es ist eine Lockerung in Phasen, weil wir jeweils überprüfen müssen, ob die neuen Lockerungen nicht zu einem zu hohen Infektionsanstieg führen. Deswegen werden wir etwa alle zwei Wochen die Infektionsdynamik kontrollieren.“
red
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