BRÜSSEL (DTZ/fok). Nicht nur die Sorge wegen geplanter überdimensionierter Bildwarnhinweise und Verboten von Menthol- und Slimzigaretten lassen in der Tabakbranche die Alarmglocken läuten: Auch auf anderen Feldern der von der EU-Kommission vorangetriebenen Tabak-Produktrichtlinie (TPD), die an und für sich sinnvoll geregelt werden könnten und sollten, droht durch wirklichkeitsferne Detailvorschriften ein kostenintensives und rechtlich bedenkliches Desaster.
Die Rede ist hier vor allem von den geplanten Bestimmungen zur Rückverfolgbarkeit und zu Sicherheitsmerkmalen von Tabakprodukten im Rahmen der TPD. Diese sollen den Schmuggel von Tabakwaren verhindern oder zumindest eindämmen und gehen zurück auf das WHO-Anti-Schmuggel-Protokoll, das als Teil der Framework Convention on Tobacco Control (FCTC) weltweit den Schmuggel bekämpfen soll.
In Artikel 14 ihres Richtlinienentwurfs hat die EU-Kommission zu Rückverfolgbarkeit und zu Sicherheitsmerkmalen die Absicht formuliert, dass Packungen von Tabakerzeugnissen künftig ein individuelles Erkennungsmerkmal haben sollten, das sich nicht nachträglich verändern lässt. Dieses soll die Feststellung von
[bul]Herstellungstag und -ort,
[bul]Herstellungsstätte,
[bul]Maschine, die zur Herstellung der Produkte verwendet wurde,
[bul]geplanten Absatzweg,
[bul]geplanten Versandweg,
[bul]gegebenenfalls Importeur,
[bul]Produktnamen,
[bul]tatsächlichen Versandweg von der Herstellung bis zum Einzelhändler inkl. aller genutzten Lager,
Identität aller Käufer von der Herstellung bis zum Einzelhändler
Rechnungs- und Bestellnummer sowie Zahlungsbelege aller Käufer von der Herstellung bis zum Einzelhändler ermöglichen.
Die erstgenannten Punkte sind auch im Anti-Schmuggelprotokoll der FCTC genannt, die vier letztgenannten stammen zusätzlich aus der Feder der EU-Kommission, wobei die letzten drei besonders problematisch, weil völlig realitätsfern sind.
Nach den Plänen der Kommission müssen Hersteller und Importeure außerdem einen Vertrag mit einem unabhängigen Dritten schließen, der die entsprechenden Daten speichert und verwaltet. Dieser Datenspeicher soll den zuständigen Behörden, der Kommission und dem unabhängigen Dritten permanent zugänglich sein. Die Eignung und Leistungsfähigkeit des Letzteren wiederum soll ein externer Prüfer billigen und überwachen, bezahlt vom Hersteller. In Form Delegierter Rechtsakte will die Kommission sich außerdem vorbehalten, auch weitgehende Korrekturen des Verfahrens künftig ohne Zustimmung des Europäischen Parlaments oder nationaler Entscheidungsgremien vorzunehmen.
Für Zigaretten und Feinschnitt will die Kommission diese Regelungen im Rahmen der Umsetzung in nationales Recht, also bereits 18 Monate nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU, in Kraft treten lassen, und für alle andere Tabakerzeugnisse innerhalb von 5 Jahren nach Umsetzung in nationales Recht. Gegenüber den Vorgaben des Anti-Schmuggel-Protokolls der FCTC bedeutet dies eine drastische Verkürzung der Fristen, denn dieses sieht Übergangsfristen von 5 Jahren bei Zigaretten und zehn Jahren bei allen anderen 'Tabakerzeugnissen vor, jeweils ab In-Kraft-Treten, und die gilt für uns ab der Ratifizierung durch Deutschland, die für 2015 erwartet wird.
Wo liegen die besonderen Probleme der „Track and Trace“-Pläne der EU-Kommission aus Sicht der betroffenen Marktteilnehmer. Hier ist der Fokus vor allem auf kleinere und mittelständische Unternehmen zu legen, da die Gefahr besteht, dass durch unrealistische und viel zu kostenintensive Vorgaben gerade diese Betriebe ernsthaft in ihrer Existenz gefährdet werden und damit regulative Wettbewerbsbehinderung eintreten kann. Da ist an allererster Stelle die Vorgabe zu nennen, dass der Hersteller den kompletten Vertriebsvorgang bis zum Einzelhändler im voraus dokumentieren und über die Packung verschlüsselt eine individuelle Erkennung dieses Weges ermöglichen soll. Wie in allen Konsumgüterbranchen wird in der Tabakbranche zunächst die Ware produziert, dann an Großhändler geliefert, die sie wiederum an Einzelhändler weiterliefern. Die Entscheidung der direkten und indirekten Abnehmer im Handel über Abnahmemenge, Marken- und Produktversionen der abzunehmenden Mengen und den Absatzzeitpunkt fällt also deutlich später als zum Zeitpunkt der Herstellung. Vielleicht hatten die Strategen in der Kommission ja die DDR-sozialistische Planwirtschaft als Vorbild vor Augen, die genau diesen Prozess ja mit dem bekannten Erfolg realisiert hatte.
Zu den weiteren wirklichkeitsfremden Aspekten der Kommissionspläne zählt die Dokumentation der Distributionswege bis in den Einzelhandel. Automatenbetreiber wären dabei genauso betroffen wie Großhändler mit ihren Rechnungskundenbeziehungen. Das ist auch wettbewerbsrechtlich bedenklich: Zwar versuchen die Pläne die Vertraulichkeit der Daten zu sichern. Doch das wirkt nur horizontal zwischen unmittelbaren Wettbewerbern zwischen den Herstellern. Die Großhandelsdaten aus seinen Kundenbeziehungen zum Einzelhandel werden den Herstellern jedoch absolut transparent, was durchaus wettbewerbsrechtlich bedenklich werden könnte.
Ein entscheidender Punkt neben den genannten sind die entstehenden Kosten. Diese sind vor allem dann ausgesprochen hoch, wenn es sich um kleinere/mittelständische Unternehmen und um eine kleine Produktionsmengen handelt, die z.B. bei der Pfeifentabakherstellung zunächst einmal auf Vorrat produziert und dann nach und nach an nachfragende Groß- und Einzelhändler abgegeben werden. Massive Kostensteigerungen gerade für kleinere Unternehmen schwächen deren Wettbewerbsfähigkeit.
Abschließend stellt sich die ganz entscheidende Frage, ob die geplanten Regulierungen den gewünschten Zielen entsprechen. Ob es also gelingt, durch die Regulierung die Mengen an geschmuggelten Zigaretten signifikant zu senken. Dazu muss zunächst einmal festgestellt werden, dass alle Fälschungen oder von vornherein für den Schwarzmarkt hergestellten Pseudo-Marken nicht durch diesen Part der Richtlinie erfasst werde, ja sogar noch einen zusätzlichen Preisvorteil durch sie erhalten würden. Dass legal hergestellten Tabakwaren auch legal versteuert vermarktet werden, ist zu begrüßen, aber auch mit deutlich weniger aufwändigen Verfahren zu erreichen.
Wie die besonders betroffenen mittelständischen Hersteller- und Großhandelsfirmen die Gefahren durch eine überzogene Rückverfolgungsregelung sehen, ermittelte eine DTZ-Umfrage. So sagte Dr. Michael Reisen, Geschäftsführer der Großhandlung Hall Tabakwaren: „Sollte das im Richtlinienentwurf zur EU-Tabakproduktrichtlinie unter Artikel 14 vorgeschlagene System zur Rückverfolgbarkeit von Tabakerzeugnissen tatsächlich mit den von der Kommission vorgeschlagenen Standards, Vorgaben und Umsetzungsfristen verabschiedet werden, ist dies für uns als mittelständische Tabakwarengroßhandelsbetriebe eine Katastrophe.
Der Richtlinienentwurf sieht eine Rückverfolgbarkeit von Tabakerzeugnissen bis zum ‚First Retail Outlet‘ vor. Der Zigarettenautomat wäre demnach das erste Retail Outlet, und nicht der Tourenfahrer, der seine Automaten betreut. So müsste beispielsweise bei der Bestückung von Tabakwarenautomaten künftig jede Packung direkt am Automaten einzeln eingescannt werden. Durch diesen zeitraubenden Vorgang – Verdoppelung der Aufenthaltsdauer des Mitarbeiters am Automaten – wäre die Wirtschaftlichkeit dieses Handelskanals (zu hohe Personalkosten) insgesamt in Frage gestellt.
Auch bei der Kommissionierung der Tabakwaren für den Einzelhandel sind hohe und kostenintensive technische Voraussetzungen sowie Datenerfassungs- und Dokumentationsverpflichtungen erforderlich, um die Kommissionsvorgaben überhaupt erfüllen zu können.
Grundsätzlich begrüßen wir jede Aktivität zur Bekämpfung des illegalen Handels mit Tabakwaren. Mit diesem Bürokratiemonster wird jedoch nur ein weiteres Parallelsystem aufgebaut, welches den Belangen des Mittelstandes auf Hersteller- und Handelssicht nicht im Ansatz Rechnung trägt. Es ist schlichtweg für den Mittelstand inoperabel. Wir plädieren daher für eine 1:1-Umsetzung der Standards, Vorgaben und Implementierungsfristen des WHO-Tabakschmuggelprotokolls zur Rückverfolgbarkeit von Tabakerzeugnissen in Europa. Nicht mehr aber auch nicht weniger.
Die Kommission muss sich die Frage gefallen lassen: „Warum kompliziert, wenn es auch einfach(er) geht?“
(DTZ 35/13)
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