MAINZ // Verbände, Unternehmen, Politik und andere Interessenvertreter streiten derzeit – wieder einmal – über die Gefahren des Rauchens – und über die Potenziale neuer Produkte, insbesondere von E-Zigaretten.
So hat ein Bündnis von Gesundheits- und zivilgesellschaftlichen Organisationen unter Federführung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) die „Strategie für ein tabakfreies Deutschland 2040“ veröffentlicht. Damit werden politische Entscheidungsträger im Vorfeld der Bundestagswahl dazu aufgefordert, sich zur Stärkung des Nichtrauchens und der Erarbeitung einer verbindlichen, ambitionierten Tabakkontrollstrategie zu bekennen.
Ziel der Strategie
Ziel der Strategie ist es laut den Verfassern, dass im Jahr 2040 weniger als fünf Prozent der Erwachsenen und weniger als zwei Prozent der Jugendlichen in Deutschland Tabakprodukte, E-Zigaretten oder andere verwandte Erzeugnisse konsumieren. „Die Politik muss sich klar dazu bekennen, den Tabakkonsum einzudämmen und so die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen“, sagt Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des DKFZ, „mit zehn konkreten Maßnahmen und einem Zeitplan für deren Umsetzung bietet das Strategiepapier eine solide Basis dafür.“
Zentrale Punkte
Zentrale Punkte der Strategie seien Einschränkungen für die Tabak‧industrie, ihre Erzeugnisse als Life-Style-Produkte zu verkaufen. Dazu gehörten neben einem Verbot der Werbung am Verkaufsort und einer Einheitsverpackung auch deutliche Beschränkungen der Verfügbarkeit von Tabakerzeugnissen. Regelmäßige spürbare Tabaksteuererhöhungen, auch für E-Zigaretten, machten die Waren vor allem für Jugendliche unattraktiv und motivierten Raucher zum Aufhören. Vollständig tabakfreie Lebenswelten schaffen ein Umfeld, in dem das Nichtrauchen leichtfällt. Da auch Tabakerhitzer und E-Zigaretten Gesundheitsrisiken bergen würden, müssten für sie dieselben Regelungen gelten.
Deutliche Kritik äußert der Bundesverband der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse (BVTE): „Wir können nicht erwarten, dass Tabakrauchen in den nächsten Jahren verschwinden wird“, erklärt BVTE-Hauptgeschäftsführer Jan Mücke, „die extremen Verbotsforderungen des DKFZ für ein tabak- und E-Zigarettenfreies Deutschland bis 2040 atmen einen totalitären und illiberalen Geist. Sie sind völlig aus der Zeit gefallen und ignorieren intelligentere Politikansätze wie die ‚Tobacco Harm Reduction‘, die in anderen Ländern erfolgreich umgesetzt werden. Es ist an der Zeit, das alte Schwarz-Weißdenken ‚Quit or Die‘ in Deutschland zu beenden.“
Harm Reduction
Harm Reduction sei eine pragmatische Option, um den Tabak- oder Nikotinkonsum mit geringeren Gesundheitsrisiken zu verbinden. Nikotin an sich sei nicht krebserregend und trage kaum zur Toxizität des Tabakrauchs bei. Innovative Produkte, die Verbrennungsprozesse vermieden und die Schadstofffreisetzung deutlich reduzierten, seien deshalb eine realistische Möglichkeit, die Risiken für spätere Krebserkrankungen oder andere tabakassoziierte Krankheiten wirksam zu begrenzen.
Das sieht der Frankfurter Suchtforscher Heino Stöver ganz ähnlich: „E-Zigaretten bieten mit ihrem 95 Prozent geringeren Schadenspotenzial eine vielversprechende Möglichkeit, das gesundheitliche Risiko sofort zu reduzieren. Ohne den Harm Reduction-Ansatz zur zentralen Handlungsmaxime in der Drogen- und Suchtpolitik – auch auf dem Sektor Tabak – zu etablieren, werden wir die Konsumentenzahlen nicht weiter senken können. Rauchern gelingt es häufig nicht, von jetzt auf gleich mit dem Zigarettenkonsum aufzuhören. Ganz konkret bedeutet das daher, dass wir die deutlich weniger schädlichen Produkte als Alternative zur Tabakzigarette einsetzen müssen.“
E-Zigaretten, Tabakerhitzern oder Nikotinbeutel
Stöver macht weiter deutlich, dass es möglich sei, mit Hilfe von E-Zigaretten, Tabakerhitzern oder Nikotinbeuteln den Anteil der rauchenden Bevölkerung signifikant zu senken. Denn: Trotz umfangreicher Bemühungen und einer immer restriktiveren Tabakkontrollpolitik rauche immer noch knapp ein Viertel der deutschen Bevölkerung. Die traurige Bilanz der „Quit or Die“-getriebenen Suchtpolitik: 110 000 Menschen stürben pro Jahr an den Folgen des Tabakkonsums.
Der Tabakkonzern Philip Morris Deutschland ergänzt, nur elf Prozent der 17 Millionen Rauchern in Deutschland hätten im vergangenen Jahr einen ernsthaften Rauchstoppversuch unternommen, obwohl die gesundheitlichen Folgen des Rauchens seit Jahren bekannt seien. Mit E-Zigaretten und Tabakerhitzern seien seit einigen Jahren nachweislich schadstoffreduzierte Produktalter‧nativen zur Zigarette für Raucher verfügbar. Allerdings zeigten aktuelle Umfragen, dass das Wissen über diese Produkte unter deutschen Rauchern kaum verbreitet sei. Der sofortige und komplette Verzicht auf Tabak und Nikotin sei nach wie vor deren beste Option. Wer diesen jedoch nicht anstrebe, sollte auf schadstoffreduzierte Produkte umsteigen.
„Das aktuell geringe Verbraucherwissen ist eine verpasste Chance, die zu Lasten einer informierten Verbraucherentscheidung der Raucher geht“, sagt Alexander Nussbaum, Leiter Scientific & Medical Affairs bei Philip Morris.
Zentraler Bedeutung
Deshalb sei es von zentraler Bedeutung, Anreize für den Umstieg auf schadstoffreduzierte Produkte zu schaffen. „Wir brauchen eine differenzierte Regulierung von nikotinhaltigen Produkten, die sich klar an deren individuellem Risiko orientiert, in Verbindung mit einer gezielten Informationspolitik gegenüber den Rauchern. Nur so kann eine Vielzahl von ihnen zum Umstieg auf schadstoffreduzierte Produkte bewegt werden“, ergänzt Maximilian Jell, Leiter Regulatory Affairs & Reduced Risk Products bei Philip Morris.
Überzeugungsarbeit
In die gleiche Richtung geht der Ansatz des BVTE: Harm Reduction erfordere Überzeugungsarbeit; sie setze auf eine ausgewogene Aufklärung. Hier gebe es erhebliche Defizite. Das Suchtpotenzial werde stark thematisiert, wobei Harm Reduction nicht mit Entwöhnung gleichgesetzt werden dürfe. Toxikologische Bewertungen suchten häufig die Nadel im Heuhaufen, vor allem, um die Schädlichkeit alternativer Erzeugnisse zu belegen. Risiken beim Konsum von E-Zigaretten, die nur für einige Geräte oder Betriebsbedingungen – zum Beispiel Überhitzung ‐ relevant seien, würden überbetont, wobei die wirklich entscheidenden Unterschiede zur Tabakzigarette aus dem Blickfeld gerieten. Zweifel am Nutzen, fehlende Daten oder die Möglichkeit eines „Gateway Effekts“ für Kinder und Jugendliche würden oft in den Mittelpunkt gerückt. Der potenzielle Nutzen für Raucher werde häufig heruntergespielt oder gar nicht erwähnt.
Anlass für die aktuelle Diskussion waren der Weltnichtrauchertag und der World Vape Day.
max
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