MAINZ // In knapp drei Wochen ist es soweit: Dann läuft die Frist für die Einführung eines EU-weiten elektronischen Rückverfolgungssystems, kurz Track & Trace (T & T), ab. Wer am 20. Mai seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, läuft Gefahr aus der Lieferkette herauszufallen.
Das Thema betrifft nicht nur Industrie und Handel, sondern auch die 28 EU-Mitgliedsstaaten im Besonderen: „Verzögert sich der T&T-Zeitplan bei einem oder mehreren Mitgliedern, ist die Funktionalität des gesamten Projekts in Gefahr und die Ware kann die Landesgrenzen nicht passieren. Nehmen Sie einen Hersteller in Polen, der den Auftrag eines deutschen Großhändlers erhält“, erläutert ein Brancheninsider gegenüber dem Netzportal Euractiv: „Vorausgesetzt, dass das T&T-System in Deutschland erfolgreich installiert ist, muss die Ware durch Tschechien nach Deutschland transportiert werden. Ist Tschechien nicht kompatibel mit dem System, kann die Ware den Hersteller nicht verlassen. Die Lieferkette wird in diesem Fall zum Erliegen kommen und den Binnenmarkt stören.“ Vor diesem Hintergrund würden die EU-Mitglieder nicht nur Steuergelder aus dem Verkauf der Tabakwaren verlieren, sondern die Konsumenten würden sich verstärkt im illegalen Tabakhandel versorgen.
Faktenlage lange klar
Dabei liegen die Fakten schon seit April 2014 auf dem Tisch und spätestens mit der Umsetzung der TPD 2 im Mai 2016 tickt in Deutschland die Uhr: Ab dem Stichtag dürfen Zigaretten- und Feinschnittpackungen nur noch mit einem individuellen Verpackungscode, dem Unique Identifier (UI), und einem fälschungssicheren Sicherheitsmerkmal hergestellt werden. Jeder Standort, jedes Lager, jedes Geschäft, jeder Kiosk und jeder Automat muss darüber hinaus über einen Facility Identifier (FID) identifiziert werden können.
Jeder, der mit Tabak handelt, ob Hersteller oder Händler, muss sich als Economic Operator außerdem mit einer Economic Operator ID (EOID) registrieren lassen. Das sind allein in Deutschland rund 90 000 Händler mit bis zu 400 000 Standorten. In Deutschland übernimmt die Bundesdruckerei die Rolle der zentralen Ausgabestelle der Codes. Die Händler müssen aber nicht nur bei der Bundesdruckerei registriert sein, sondern auch in die IT-Systeme der Hersteller und Großhändler eingepflegt werden. Das kostet Zeit.
Packungen, die vor dem 20. Mai hergestellt wurden, können noch bis Mai 2020 verkauft werden. Für alle anderen Tabakerzeugnisse wie Pfeifentabak, Zigarren sowie E-Zigaretten-Liquids oder Tabaksticks für Tabakerhitzer – auch mit Nikotin – gilt die Regelung erst ab dem 20. Mai 2024.
Das System schien gut aufgestellt – zumindest auf dem Papier. Wie sich jetzt zeigt, hinkt es in der Praxis weit hinterher. Industrie und Handel reagieren mit massiver Kritik. Neben der Tabakbranche geht auch der Lebensmittelhandel auf die Barrikaden.
Rolle der Bundesdruckerei
Erst am 12. April hat der Bundestag dem Gesetzgebungsvorschlag des Bundestages zugestimmt. Laut Mitteilung des Bundesrates soll das System den Behörden zeitnah zur Verfügung stehen. Ein konkreter Zeitpunkt wurde nicht genannt. In Deutschland habe es im Vorfeld viele Unklarheiten zwischen dem Bund und den Ländern gegeben, was die Zuständigkeit der Überwachungsbehörden betreffe, sagt die EU-Abgeordnete Renate Sommer (CDU) auf DTZ-Anfrage. In diesem Zusammenhang wird auch die Rolle der Bundesdruckerei hinterfragt. Diese hat sich vom ursprünglichen Zeitplan verabschiedet: Statt im April werden die Codes erst ab 10. Mai ausgegeben. Und erst dann lässt sich auch testen, ob das System überhaupt funktioniert.
„Diese kurze Umsetzungszeit sorgt natürlich für Unsicherheit bei den Herstellern“, sagt Sommer: „Nach wie vor gibt es große Unsicherheiten entlang der Lieferkette, insbesondere bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die Frage ist nämlich, ob und wie diese Unternehmen ab dem Stichtag ihrem geregelten Betrieb überhaupt weiter nachgehen können.“
Ähnlich kritisch beobachtet der Deutsche Zigarettenverband (DZV) die Entwicklung. „Nach wie vor stehen die Beteiligten unter einem enormen Zeitdruck“, sagt DZV-Geschäftsführer Jan Mücke. Aufgrund von Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren und kurzfristigen Änderungswünschen der EU-Kommission an der Code-Struktur sei nicht sicher, ob die technische Umsetzung bis zum Stichtag überhaupt funktioniere.
Praxistauglichkeit fraglich
Bei diesem Thema steht zudem der Betreiber der EU-weiten sekundären Datenbank (Secondary Repository) im Fokus: die Dentsu-Aegis Agentur-Gruppe. EU-Abgeordnete Renate Sommer stellt dabei die Frage, ob dieses System überhaupt praxistauglich sei: „Eine zentrale Datenbank zum Austausch und zur Speicherung für die Rückverfolgbarkeit von Tabakprodukten gibt es auf nationaler Ebene noch nicht. Über eine sekundäre Datenbank sollen die EU-Mitgliedstaaten sowie die EU-Kommission Zugriff auf Informationen über alle europaweiten Bewegungen von Tabakprodukten haben. Die Kommission hat aber mitgeteilt, dass die sekundäre Datenbank erst frühestens zum 10. Mai in Betrieb gehen wird. Auch hier ist ein Vorlauf von lediglich zehn Tagen einfach zu knapp bemessen, denn Dienstleister und Unternehmen müssen ihre Prozesse auf das neue System einstellen.“
Seitens der Industrie seien alle notwendigen Anstrengungen unternommen worden, damit das T & T-System fristgerecht funktioniere, betont Mücke: „Die Bundesdruckerei wollte ursprünglich mindestens sechs Wochen vor dem 20. Mai mit der Registrierung beginnen und bereits vor dem offiziellen Termin Codes vergeben, ist aber genauso wie die Hersteller und der Handel von dem rechtzeitigen Funktionieren der technischen Schnittstellen des EU-weiten Datenbankbetreibers abhängig. Die gleichen Probleme stellen sich nicht nur für Deutschland, sondern auch für alle anderen EU-Länder.“
Keinen Grund zur Aufregung sieht man dagegen beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Von dort heißt es: „In Deutschland hat am 12. April der Bundesrat den deutschen Umsetzungsrechtsakten zum europäischen Rückverfolgbarkeitssystem Track & Trace zugestimmt. Damit steht das Umsetzungsverfahren kurz vor seinem Abschluss. Das BMEL ist daher zuversichtlich, dass der Start des Rückverfolgbarkeitssystems für Tabakerzeugnisse in Deutschland rechtzeitig zum 20. Mai 2019 erfolgen kann“. kes
(DTZ 18/19)
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