BRÜSSEL (DTZ/pnf/fok). Wenn es nach dem Willen der Bürger in der EU geht, wird es keine Verschärfung der Regulierungsmaßnahmen für Tabakprodukte durch die geplante Änderung der EU-Tabak-Produktrichtlinie (TPD) geben. Mitte letzter Woche veröffentlichte die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz der Europäischen Kommission das Ergebnis der Mitte Dezember 2010 abgeschlossenen öffentlichen Konsultation zu den von der EU-Kommission vorgeschlagenen Regulierungsmaßnahmen.
Beeindruckend war schon allein die Zahl der Einwendungen. Mit 85 513 Antworten signalisierte Bürger, Hersteller, Regierungen und NGOs ein massives Interesse und den Wunsch nach Mitsprache bei diesem Thema. Was dabei besonders überraschte, war der extrem hohe Anteil von 96 Prozent der Einwender bei der Konsultation, der auf die Bürger entfiel; von Industrievertretern stammten 2,7 Prozent der Einwendungen, jeweils knapp 1 Prozent kamen von NGOs und von Regierungsvertretern.
Am regsten war die Beteiligung an der Konsultation in Polen und Italien. Deutschland steht mit 7 097 Eingaben an vierter Stelle. In dem aktuellen Bericht werden die verschiedenen Punkte der von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmenliste einzeln behandelt.
Konkrete Voten zu den jeweiligen Alternativen werden jedoch weder inhalts- noch zahlenmäßig genannt, sondern nur die Mehrheiten innerhalb der jeweiligen Beteiligungsgruppe herausgestellt. In der folgenden Darstellung dieser Ergebnisse werden die Voten der Industrie (Tabak einerseits und Pharma andererseits) sowie der NGOs nicht aufgeführt, da sie gemäß der jeweiligen Interessenlage pro oder kontra harten Regulierungsmaßnahmen argumentiert haben. Die folgenden Aussagen über die Mehrheiten der Eingaben konzentrieren sich also auf die Stimmenverhältnisse bei den Regierungsvertretern (häufig aus den Gesundheitsministerien) und aus dem großen Kreis der Bürger:
1. Geltungsbereich der Richtlinie
Eine „beachtliche Mehrheit“ der teilnehmenden Mitgliedstaaten sprach sich entweder für eine Ausweitung des Geltungsbereichs der Richtlinie aus oder machte zu diesem Punkt keine Angaben. Eine „beachtliche Mehrheit“ der Bürger äußerte sich gegen eine Ausweitung.
2. Rauchlose Tabakerzeugnisse
Die „Mehrheit“ der Mitgliedstaaten sprach sich für ein Verbot sämtlicher rauchfreier Tabakprodukte aus, lediglich eine geringe Anzahl der Mitgliedstaaten plädierte für eine Aufhebung des Snus-Verbots. Eine „überwältigende Mehrheit“ der Bürger widersprach zum einen der Problemdefinition und sprach sich zum anderen für eine Aufhebung des Snus-Verbots aus.
3. Verbraucherinformation (Warnhinweise, Plain Packaging)
Die „meisten“ Mitgliedstaaten waren für eine verbesserte Konsumenteninformation. Fast die Hälfte sprach sich – mit Vorbehalten – für Plain Packaging aus. Eine „kleine Zahl“ von Mitgliedstaaten sprach sich für die Beibehaltung des Status Quo und deutlich gegen Plain Packaging aus. Die Bürger waren ebenfalls „mehrheitlich“ für die Beibehaltung des Status Quo. Als Grund nannten sie den Mangel an wissenschaftlichen Nachweisen, dass Bildwarnhinweise oder Plain Packaging die Raucherrate senkten oder Jugendliche vom Rauchen abhielten. Auch halten die Bürger Tabakprodukte, die sie legal kaufen können, schon derzeit für zu stark reguliert.
4. Meldung und Registrierung von Zusatzstoffen
Eine „Mehrheit“ der Mitgliedstaaten empfahl die Verwendung von EMTOC, einem europäisch harmonisierten Übermittlungssystem für die Verwendung von Zusatzstoffen in Tabakerzeugnissen. Von Seiten der Bürger wurde ebenfalls ein einheitliches Format befürwortet.
5. Regulierung von Zusatzstoffen
Die „Mehrheit“ der Mitgliedstaaten befürworten eine Regulierung von Zusatzstoffen, wobei Uneinigkeit hinsichtlich der verschiedenen angebotenen Politikoptionen bestand. Andere Staaten kritisierten jedoch den Vorschlag, die Regulierung der Zusatzstoffe an dem Begriff „Attraktivität“ festzumachen oder sie sprachen sich für eine Beibehaltung des Status Quos aus. Eine „beachtliche Mehrheit“ der Bürger sprach sich gegen eine Regulierung von Zusatzstoffen auf EU-Ebene aus.
6. Zugang zu Tabakprodukten
„Fast alle“ Mitgliedstaaten befürworteten eine stärkere Kontrolle zumindest in einem oder auch mehreren der drei Bereiche Internetverkäufe, Automaten und Präsentation am Verkaufsort. Eine „geringe Zahl“ von Mitgliedstaaten sah dies als nationalen Kompetenzbereich an. Eine „beachtliche Mehrheit“ der Bürger sprach sich gegen einen eingeschränkten Zugang zu Tabakprodukten aus. Dass die Ergebnisse des Konsultationsverfahren den Initiatoren der TPD-Änderungsvorschläge in der EU-Kommission nicht sonderlich willkommen sind, zeigt sich in der Formulierung der Pressemitteilung über diese Ergebnisse. Einerseits werden die Positionen gegen und für massive Regulierungen zwar kurz angerissen, aber nicht quantifiziert. Andererseits wird das Ziel, den Tabakkonsum in der EU zu reduzieren als oberste Priorität vorgegeben. Hier liegt die Gefahr einer nicht gerechtfertigten Diskriminierung legaler Produkte nahe.
Und wie geht es weiter?
Dazu sagt die Kommission: „Die Ergebnisse der Konsultation werden auch bei der laufenden Folgenabschätzung berücksichtigt, in der die wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen, aber auch die Durchführbarkeit verschiedener strategischer Optionen behandelt werden. Das Ergebnis der Folgenabschätzung wird zusammen mit einem Legislativvorschlag im nächsten Jahr vorgelegt.“ Die Entscheidung über die Änderung der Richtlinie treffen die Mitgliedstaaten der EU im Ministerrat und das Europäische Parlament. Dieses sogenannte Mitentscheidungsverfahren kann bis zu zwei Jahre dauern. Mit einer neuen Tabak-Produktrichtlinie wird aller Voraussicht nach für 2013 gerechnet und mit einer Umsetzung in Deutschland frühestens in 2014.
Tabakverbände begrüßen Votum der Bürger
In ersten Stellungnahmen äußerten sich Verbände der Tabakwirtschaft positiv zu den Ergebnissen der Konsultation. Der Deutsche Zigarettenverband (DZV) hob hervor, dass ein Großteil der Bürger sich gegen Einheitspackungen und Warnbilder ausgesprochen habe, da diese kaum Einfluss auf das Rauchverhalten hätten. Eine überwältigende Mehrheit lehnten auch einen Display Ban und ein Verbot von Zigarettenautomaten ab.
Viele Bürger fürchteten, dass solche geplanten EU-Maßnahmen auf andere Bereiche des täglichen Lebens übergreifen: „Einheitspackungen sind nur der Anfang. Andere Verbote werden folgen und den erwachsenen Bürger massiv in seiner Wahlfreiheit einschränken – ohne irgendeinen Nutzen zu bringen“, so DZV-Geschäftsführerin Marianne Tritz. Auch der Bundesverband der Zigarrenindustrie sieht in den Ergebnissen der öffentlichen Konsultation zur TPD-Änderung ein klares Votum der Verbraucher gegen weitere Bevormundung.
Verbandsgeschäftsführer Bodo Mehrlein ist begeistert: „Die Genießer unserer Produkte haben ein eindeutiges Zeichen gegen Bevormundung und Verbote gesetzt. Es ist nun zu hoffen, dass die EU-Kommission Demokratie vorlebt und die Ergebnisse dieser Befragung in ihre Entscheidung einfließen lässt.“ Auch der BDZ-Vorsitzende Peter Wörmann wertet das Ergebnis positiv: „Wir sollten auf Basis dieser Stimmen der Bürger auf eine weitere Regulierung von Zigarren, Zigarillos und anderen Tabakprodukten verzichten.“
Seitens des Verbandes der Deutschen Rauchtabakindustrie stellt dessen Vorsitzender Patrick Engels angesichts der hohen Beteiligung vor allem der Verbraucher an der Konsultation fest: „Dies zeigt, wie wichtig den EU-Bürgern eine Politik mit Augenmaß ist, die sich mit Sachargumenten auseinandersetzt anstatt staatlicher Überregulierung Tür und Tor zu öffnen.“
Und der Hauptgeschäftsführer dieses Verbandes, Franz Peter Marx, ergänzt: „Die Verbraucher möchten nicht noch weiter seitens der EU bevormundet werden, sondern pochen auf das Recht des mündigen, erwachsenen Verbrauchers, der sich frei für oder gegen den legalen Konsum von Tabakwaren entscheidet. Der Schwerpunkt der Gesundheitspolitik muss stattdessen in der Präventionspolitik liegen.“ Proteste gegen überzogene EU-Regulierungen, wie Plain Packs und Display Ban, trugen dazu bei, die Bürger zu mobilisieren.
(DTZ 31/11)
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