Schlagwort: Pharmaindustrie

  • Liebe Leserinnen, liebe Leser,

    Vor einigen hundert Jahren war die herrschende Mehrheitsmeinung, die Erde sei eine Scheibe. Nun: Dank einiger heller Köpfe wissen wir längst, dass wir auf einer Kugel leben. Es ließen sich zahlreiche Beispiele dafür aufführen, dass es manchmal durchaus radikalen Denkens bedarf, um Wissen zu erweitern, Fortschritt zu kreieren. Umso erstaunlicher ist es, dass jede Minderheitenmeinung in Sachen Corona heute mit Verweis auf die Mehrheit der Wissenschaftler, die das anders sieht, abgebügelt wird. Fast könnte man den Eindruck bekommen, es gehe gar nicht darum, mehr über das Virus zu erfahren. Aber was derzeit in Berlin vor sich geht, können wir schlichteren Gemüter in der Diaspora ohnehin nicht nachvollziehen.

    Vom Virus profitieren
    Spannend finde ich, dass immer häufiger Fälle ans Licht kommen, in denen Marktteilnehmer (im weitesten Sinne) vom Virus profitieren wollen. So soll der Bundespolitiker Georg Nüßlein (CSU) sich eine sechsstellige Provision im Zusammenhang mit dem Beschaffen von FFP2-Masken gesichert haben. Und dass Pfizer beinhart verhandelt, wenn es um den heilsbringenden Impfstoff geht, war zu erwarten. Dass der Konzern so harte Bandagen anlegt, dass zwei lateinamerikanische Staaten die Verhandlungen abgebrochen haben, weil sie sich erpresst fühlten, ist vielleicht nicht ganz so einsehbar. Die Argumentation: Wenn ihr den Impfstoff nicht kauft, lasst ihr viele Menschen in eurem Land sterben. Dass Pfizer mittelbar das Gleiche tut, geht dabei unter. In Europa jedenfalls steht der US-Pharmariese nicht vor solchen Problemen. Hier ist er mit stolzen 54,08 Euro pro Dosis in die Verhandlungen eingetreten und hat sich letztlich mit gut 15 Euro zufrieden gegeben – immer noch mit sattem Gewinn. Außerdem hat Pfizer Fürsprecher wie den SPD-Politiker Karl Lauterbach (der ja schon mal die großflächige Schließung von Krankenhäusern fordert, sollten sie nicht wirtschaftlich arbeiten): „Der BionTech-Impfstoff rettet so viele Menschenleben. Die Kritik an angeblich zu hohen Preisen ist beschämend.“ Alles klar!

    Geringe Motivation
    Ach ja, ein spannendes Zitat habe ich noch gefunden. Es geht um den immer wiederkehrenden Aufruf zur Schutzimpfung, insbesondere bei den über 60-Jährigen, bei Bewohnern von Alters- oder Pflegeheimen und Menschen mit chronischen Krankheiten. Der Beitrag, erschienen in „Der Tagesspiegel“, endet: „Die saisonale Grippeimpfung, die jedes Jahr wiederholt werden muss, ist ein Milliardengeschäft. Dass die Pharmaindustrie eine geringe Motivation hat, bessere Impfstoffe zu entwickeln (die womöglich ein Leben lang halten), liegt auf der Hand.“ Ich erspare Ihnen an dieser Stelle jeden Hinweis auf die Verlaufskurven, auf Variation des Virus, auf das erstaunliche Verschwinden der Influenza… Ach ja, das Zitat – es stammt aus dem Jahr 2012 und ist vom Hallenser Virologen Alexander Kekulé, der damals einen unverstellten Blick auf ökonomische Zusammenhänge bewies.

    Kein Mangel
    Pfizer geht es also nicht schlecht, Deutschland schon. Wir hätten gut gewirtschaftet, betont der Vizekanzler unermüdlich, und könnten einen Lockdown lange durchhalten. Was er auch sagt: Deutschland wird mittelfristig aus der durch Corona starkgestiegenen Verschuldung herauswachsen. „Vielleicht schon Ende der 20er-Jahre werden wir wieder alle Kriterien des Maastricht-Vertrags erfüllen“, so der SPD-Politiker. Bisher beliefen sich die Unterstützungsleistungen auf insgesamt fast 190 Milliarden Euro. An Geld herrscht also kein Mangel. Kein Wunder, dass die Begehrlichkeiten der Industrie mit Blick auf ein zweites Konjunkturprogramm wachsen. Während Beamte im Bundeswirtschaftsministerium staunen, was die Großen der Branchen angeblich nicht mehr selbst leisten können, bangen Einzelhändler und Dienstleister um die ersehnten März-Öffnungen. Selten, dass ein namhafter Politiker die Probleme so auf den Punkt bringt, wie zuletzt Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, der wetterte: „Wir vernichten zurzeit Existenzen. Und ganz nebenbei auch die Staatsfinanzen.“ Übrigens: Am 14. März finden in Hessen Kommunalwahlen statt. Da wird es Zeit, sich zu positionieren.

    Shoppen nach Anmeldung
    Gewählt wird am 14. März auch in Rheinland-Pfalz, dort der Landtag. Und weil Regierungschefin Malu Dreyer nicht ganz so draufgängerisch ist, aber trotzdem Stimmen braucht, haut sie ganz sacht auf den Tisch. Die Folge: „Termin-Shopping“ ab 1. März. Das betrifft erst einmal nur Bekleidungsgeschäfte, soll aber für die strapazierte Bevölkerung wie eine neue Öffnungswelle wirken. Nach Anmeldung dürfen die Mitglieder eines Hausstandes mit Masken und nach Erfassung der Daten einen Laden betreten und nach Herzenslust stöbern. Anschließend müssen die Mitarbeiter des Geschäftes (vermutlich wird es nur einer sein, denn es lohnt sich ja sonst erst recht nicht) „Hygienemaßnahmen durchführen und lüften“. Warum das Konzept in anderen Branchen, zum Beispiel im Möbelhandel, nicht greifen soll, erschließt sich dabei nicht.

    Großflächige Schulöffnungen
    Begründet wird alle Vorsicht mit Mutanten und steigenden Inzidenzen. Dass die Zahl der „Genesenden“, also insbesondere all jener, deren positiver PCR-Test nach einer Quarantäne-Frist vermutlich wieder negativ ausfällt, unaufhörlich steigt, wird dabei ebenso wenig berichtet, wie die Tatsache, dass mit den großflächigen Schulöffnungen wieder deutlich mehr getestet wird – was unweigerlich steigende Positiv-Zahlen zur Folge hat. An der Positiven-Quote übrigens, also dem Verhältnis von positiven Testergebnissen zur Zahl der Tests insgesamt, lässt sich das erkennen.

    Die üblichen Muster
    Abschließend möchte ich Ihnen noch eine Erkenntnis der Weltgesundheitsorganisation weiterreichen, wobei ich darauf hinweisen möchte, dass die WHO zumindest für die deutsche Politik keine Rolle mehr zu spielen scheint. Was aus New York kommuniziert wird, kommt in Berlin nicht an. Jedenfalls hat der Belgier Hans Henri Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, verkündet, er sehe das nahe Ende der Pandemie. Auch Corona folge den üblichen Mustern, eine dritte Welle falle schwach aus und breche dann ziemlich rasant in sich zusammen. Mutanten seien üblicherweise für ein Virus der Anfang vom Ende. Andere Experten wie der Epidemiologe Klaus Stöhr, der unter anderem das Influenza-Programm der WHO geleitet hat, weisen bereits seit Wochen auf diese Verlaufsmuster hin.

    Und mit diesen tröstlichen Gedanken wünsche ich Ihnen ein wunderbares und hoffentlich sonniges Wochenende. Gehen Sie an die Luft – ohne Maske! Und atmen Sie durch!

    Herzlich,
    Marc Reisner,
    Chefredakteur

  • Pharma sponsert Aktionsbündnis

    HAMBURG // Das Aktionsbündnis Nichtrauchen (ABNR) lässt sich offenbar seit Jahren von der Pharma-Industrie sponsern. Das ist das Fazit eines Beitrags in „Der Spiegel“. Dem Magazin liegen „interne Dokumente“ vor, die offenbar die Beziehung zwischen Pfizer und dem ABNR belegen.

    Hintergrund: Die Unternehmen verdienen viel Geld – der weltweite Umsatz liegt bei knapp 2,5 Milliarden US-Dollar (gut 2,2 Milliarden Euro) – mit Nikotin-Ersatzprodukten. „Der Spiegel“ legt nahe, dass die Beziehung von ABNR und Big Pharma bis heute andauert. So rede das Bündnis seit Jahren die E-Zigarette schlecht, die die wohl sinnvollste Maßnahme zur Rauchentwöhnung darstelle.

    „Der Spiegel“ zitiert den Berliner Gesundheitswissenschaftler Dietmar Jazbinsek: „Die Kampagne gegen die E-Zigarette ist die größte seit Gründung des ABNR.“ Stattdessen macht sich das ABNR vehement für – medikamentöse – Ausstiegshilfen der Pharmaindustrie stark. Das Hamburger Magazin stellt weiter fest: „Das Aktionsbündnis Nichtrauchen teilt auf Anfrage mit, seine kritische Haltung zur E-Zigarette sei ausschließlich wissenschaftlich begründet. Es nehme außerdem seit 2009 keine Spenden von der Pharmaindustrie mehr entgegen.

    red

    (DTZ 36/19)

  • Suchtmediziner im Kreuzfeuer der Kritik

    BERLIN // Die E-Zigarette ist für viele Raucher eine Alternative zu herkömmlichen Tabakprodukten. Allerdings wird sie als Entwöhnungshilfe von Medizinern häufig abgelehnt. Die Gründe sind laut einem Bericht in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) oft fragwürdig.

    Der Artikel thematisiert die Verbindungen von Suchtmedizinern zur Pharmaindustrie. Vor diesem Hintergrund fordert der DZV die Offenlegung aller Interessenkonflikte beim Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und dem Wissenschaftlichen Aktionskreis Tabakentwöhnung (WAT).

    In der Ausgabe vom 18. Mai hatte die SZ über enge geschäftliche Verbindungen von Suchtmedizinern des WAT und dem Pharmakonzern Novartis berichtet. Danach wurde der WAT nach Angaben der PR‐Firma Klinksiek im Auftrag von Novartis Consumer Health gegründet. Novartis stellt Suchtentwöhnungsprodukte her.
    Seit 2013 will der WAT mit Klagen auf dem Rechtsweg erreichen, dass die Nikotinersatztherapie und psychotherapeutische Entwöhnungskurse künftig von den Krankenkassen bezahlt werden. Er lehnt in Übereinstimmung mit dem DKFZ den Einsatz von elektronischen Zigaretten zur Tabakentwöhnung ab.

    Hinzukomme, dass die Leiterin des „WHO-Kollaborationszentrums für Tabakkontrolle“ beim DKFZ, Dr. Martina Pötschke‐Langer auch wissenschaftliches Mitglied der Novartis‐Gründung WAT ist. Weiterhin veröffentlicht das DKFZ in Zusammenarbeit mit WAT einen regelmäßigen Newsletter zur Tabakentwöhnung.

    DZV‐Geschäftsführer Jan Mücke zeigt sich empört über die Verflechtungen zwischen dem DKFZ, dem Wissenschaftlichen Aktionskreis Tabakentwöhnung (WAT) und der Pharmaindustrie. „Wissenschaftliche Einrichtungen zur Tabakkontrolle und Suchtmedizin müssen jeden Anschein von Interessenskonflikten vermeiden. Ich fordere deshalb volle Transparenz über die Zusammenarbeit von DKFZ, WAT und Pharmaindustrie. Die wissenschaftliche Bewertung von risikoreduzierten Erzeugnissen für Raucher, wie der elektronischen Zigarette, muss völlig frei von wirtschaftlichen Erwägungen der Pharmaindustrie erfolgen“, sagte Mücke.
    pi

    (DTZ 22/16)

  • Auf lange Sicht wirkungslos

    LONDON/BOSTON (DTZ/red). Die Nachricht wird die Pharmaindustrie nicht freuen: Laut einer Studie der Harvard School of Public Health sind Nikotin-Pflaster und –Kaugummis im Einsatz bei der Raucherentwöhnung relativ wirkungslos, berichtet das englische Magazin „Tobacco Control“ diese Woche.

    Das Ergebnis hat die Wissenschaftler um Gregory Connolly vom Center for Global Tobacco Control in Harvard eigenen Angaben nach selbst überrascht. „Wir haben nicht die Ergebnisse erhalten, die wir erhofft hatten“, zitiert das Magazin den Studienleiter. Zwischen 2001 und 2006 haben Connolly und seine Kollegen 787 Erwachsene wissenschaftlich begleitet, die kurz vorher Nichtraucher geworden waren.

    Dreimal wurden die Probanden im Berichtszeitraum (2001-2002, 2003 bis 2004 und 2004-2005) zu ihrem Zustand befragt. In jedem Untersuchungsabschnitt hat ein Drittel wieder zu rauchen angefangen. Dabei habe es keinen Unterschied gemacht, ob die Teilnehmer aus Willenskraft oder mit Hilfsmitteln das Rauchen aufgeben wollten oder ob sie professionelle Unterstützung hatten.

    Das bestätigt auch die These des australischen Wissenschaftlers Simon Chapmann, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“. Der Professor von der Universität in Sydney zweifelt den Einsatz von Medikamenten bei der Raucherentwöhnung an.

    (DTZ 02/12)