DORTMUND // Das Rauchen belastet nicht, sondern entlastet eher die Sozialversicherten und Steuerzahler. Das sagt Florian Steidl, der an der Hochschule Rhein Main lehrt. Steidl referierte zu diesem Thema auf der diesjährigen MUT-Mitgliederversammlung, zu der der Vorsitzende und Geschäftsführer Horst Goetschel gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen Cay Uwe Vinke und Marco Schum nach Dortmund eingeladen hatte. DTZ druckt nachfolgend eine Zusammenfassung des Vortrags von Steidl ab.
Mithilfe einer Längsschnittbetrachtung von Querschnittsdaten werden bei der Untersuchung erstmals die extern anfallenden Nettokosten des Rauchens in Deutschland saldiert. Die Berechnung ist ausgabenorientiert und berücksichtigt die gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen. Sie basiert weitgehend auf Datenmaterial für Deutschland. Im Ergebnis führt Rauchen netto eher zu einer Entlastung als zu einer Belastung von Sozialversicherten und Steuerzahlern.
Funktion einer Pigou-Steuer
Weitere Tabaksteuererhöhungen lassen sich daher aus bloßer Kostenperspektive schwer rechtfertigen. In Deutschland hat die Tabaksteuer aufgrund ihrer Aufkommensstärke von zuletzt etwa 14 Milliarden Euro im Jahr große fiskalische Bedeutung. Die Tabaksteuer wird freilich nicht nur zu Einnahmezwecken erhoben, sie soll daneben eine gesundheitspolitische Lenkungsfunktion übernehmen. Tabakrauchen führt nicht nur zu Krankheiten, sondern auch zu einem vorzeitigen Tod. Beide Effekte lösen sowohl Kosten als auch Ersparnisse in den Systemen der sozialen Sicherung und der Beamtenversorgung aus, die im Allgemeinen nicht den Rauchern individuell angelastet werden, sondern der Gemeinschaft der Versicherten und den Steuerzahlern. Die Tabaksteuer übernimmt daher auch die Funktion einer Pigou-Steuer. Sie preist die externen Kosten des Tabakkonsums ein, sprich: jene Kosten, die nicht von den Rauchern selbst getragen werden.
Raucher wälzen über die Sozialversicherung und die Beamtenversorgung die fiskalischen Folgekosten erhöhter Sterblichkeit auf die Nie-Raucher ab. Allerdings entstehen durch die durchschnittlich kürzere Lebenserwartung von Rauchern auch Ersparnisse in der Sozialversicherung und der Beamtenversorgung. Die Saldierung dieser Kosten und Ersparnisse ergibt die externen Nettokosten des Rauchens. Die bisherige Forschung berücksichtigt nicht die verkürzte Lebenszeit der Raucher und überschätzt mithin die Kosten des Rauchens.
Welche Effekte des Tabakkonsums sind unter Beachtung der institutionellen Gegebenheiten in Deutschland extern? Wie hoch ist das externe Kosteninkrement bei Berücksichtigung der Frühsterblichkeit von Rauchern? Welche Schlüsse ergeben sich daraus für die Ausgestaltung einer Tabaksteuer?
Lebenserwartung von Rauchern
Eingebettet in einen wohlfahrtsökonomischen Referenzrahmen werden die Bestandteile einer Externalitätenrechnung unter Beachtung der institutionellen Ausgestaltung des Sozialversicherungssystems und der Beamtenversorgung in Deutschland identifiziert. Die Berechnung der tabakkonsumbedingten Sterblichkeit ergibt 99 000 Todesfälle pro Jahr. Rauchen verkürzt die Lebenserwartung der Männer um durchschnittlich 5,6 Jahre. Bei Frauen sind es 4,4 Jahre.
Der gewählte Modellansatz simuliert aufgrund der schwierigen Datenlage einen Lebenszyklus, bei dem der Bevölkerungsquerschnitt des Basisjahres 2011 auf einen Längsschnitt umgelegt wird. Für jedes Altersjahr der gegebenen Realbevölkerung aus Aktiv-, Ex- und Nie-Rauchern (Status-quo-Bevölkerung) sowie der strukturell identischen Modellpopulation aus Nie-Rauchern werden Einzelbarwerte der jeweils über den Restlebenszyklus anfallenden Ausgaben für medizinische Leistungen, gesetzliche Renten und Beamtenpensionen ermittelt und über alle Alter kumuliert. Die Differenz der Gesamtbarwerte der Status-quo-Bevölkerung und der Nie-Raucher-Bevölkerung ergibt die abgezinsten externen Nettokosten des Rauchens. Die Ergebnisse sind indikativ und gelten unter den im Jahr 2011 herrschenden institutionellen Rahmenbedingungen, den getroffenen Modellannahmen sowie den verfügbaren Daten. Der kumulierte Barwert der externen Nettokosten des Rauchens beider Geschlechter beläuft sich auf -36,4 Milliarden Euro.
Zusätzliche Aufwendungen
Rauchen führt demnach zu negativen externen Nettokosten, das heißt Einsparungen aus der Perspektive der Steuer- und Beitragszahler. Darin enthalten sind auf der Kostenseite insbesondere medizinische Mehrkosten in Höhe von 65,2 Milliarden Euro, 18,5 Milliarden Euro Zusatzaufwendungen an Erwerbsminderungsrente sowie 53,0 Milliarden Euro an Witwenrenten.
Die Nettoersparnisse an Altersrenten und Ruhegehältern belaufen sich auf 158,4 beziehungsweise 35,5 Milliarden Euro. Dieser auch als „Death benefit“ bezeichnete Effekt überkompensiert die Summe aller Kostenkomponenten. Männliche Raucher verursachen unter dem Strich knapp acht Mal höhere Einsparungen als weibliche Raucher. Der Barwert aller Tabaksteuereinnahmen beträgt 375,7 Milliarden Euro und übersteigt die Summe der aggregierten externen Nettokosten des Rauchens bei weitem. Tabaksteuern lassen sich demnach aus einer an den externen Nettokosten des Rauchens orientierten Perspektive nur schwer motivieren.
Das ist auch dann der Fall, wenn statt rationalen Rauchern ein Verhalten unterstellt wird, das keinem zeitkonsistenten Konsumplan unterliegt. Raucher rauchen dann stets mehr als geplant. Abhilfe schafft eine Tabaksteuer, die neben den externen Nettokosten auch einen Teil der privaten Kosten internalisiert. Der absolute Unterschied zwischen den externen Nettokosten und den Tabaksteuereinnahmen ist jedoch so groß, dass die Einnahmen die Summe aus externen Kosten und den individuellen Schäden, die der zeitinkonsistente Teil der Raucherschaft nicht ins Kalkül zieht, übersteigen dürften. Die Variation der gewählten Parameter in einer Sensitivitätsanalyse bestätigen die Ergebnisse. red
(DTZ 18/19)