Schlagwort: Volksentscheid in Bayern

  • Volksentscheid in Bayern: Nach der Wahl ist vor der Wahl

    Mit Mehrheit für totales Gastrorauchverbot wächst Sorge vor Kettenreaktion

    MÜNCHEN (DTZ/fh). Viele Beteiligte und Betroffene müssen sich an die eigene Brust fassen und fragen, ob sie alles gegeben und das Richtige getan haben. Ob das Ergebnis des bayerischen Volksentscheids zum Rauchen in der Gastronomie hätte anders ausfallen können und ob, ein offenes Wort sei erlaubt, gegen die Dummheit und Gleichgültigkeit der Menschen überhaupt ein Kraut gewachsen ist. Die bayerische Gastronomie wird ab dem 1. August rauchfrei sein.

    61 Prozent der abgegebenen Stimmen beim Volksentscheid sprachen sich für ein Verbot aus. Dies allerdings bei einer Wahlbeteiligung von 37,7 Prozent. Also zwingt eine Minderheit von 23 Prozent der Wahlberechtigten einer Mehrheit ihre Meinung auf. Eine Mehrheit, die aus hunderttausenden von Rauchern bestehen wird, die entweder ignorant oder uninformiert zu Hause geblieben sind.

    Irrglaube vieler Raucher
    Eine Umfrage des bayerischen Rundfunks am Wahlsonntag zeigte, dass viele Raucher glaubten, durch Stimmenthaltung bliebe alles beim Alten! Kann man sich ernsthaft vorstellen, dass ein Raucher gern bei Wind und Wetter draußen raucht und damit sein Wahlrecht nicht wahrnimmt? Mit gesundem Menschenverstand wohl nicht!

    Nie dagewesen: Im Aktionsbündnis für Freiheit und Toleranz hatten sich nicht nur Interessenvereinigungen der Tabakbranche, sondern auch Brauer und Wirte zusammengefunden, um gegen den von der ÖDP angestrebten „echten“, um nicht zu sagen „totalen“ Nichtraucherschutz in Bayern zu kämpfen.

    Emotionale Wirkung unterschätzt
    Unterschätzt wurde hierbei die emotionale Wirkung der ÖDP-Kampagne, die ständig suggerierte, dass viele Gastwirte widerspruchslos gegen das Gesetz verstießen und dies zukünftig zu mehr und mehr Ausnahmen führen würde.

    Eine ÖDP, die zweitens mit der CSU ein williges Opfer hatte, denn diese verteidigte ihr eigenes Gesetz nicht. Und eine ÖDP, deren Mitglieder voraussichtlich selten in der Gastronomie anzutreffen sind, mit anderen Worten: Es war ein Kreuzzug gegen die CSU mit dem Nichtraucherschutz als Vehikel. Morgen wird es Alkohol sein oder eine Straße mit laichenden Fröschen. Das demokratische Instrument Volksentscheid ist ab absurdum geführt worden, der Wähler instrumentalisiert, gegen die Dummheit bei der CSU und bei vielen Wählern ist kein Kraut gewachsen.

    Die Stimmung beim Aktionsbündnis ist am Boden. Mit hohem Einsatz hatte man monatelang versucht, Wählerstimmen zu mobilisieren. Die Stimmung sollte übrigens in ganz Deutschland niedergeschlagen sein. Denn bereits am Wahlsonntag bekundete die ÖDP, dass man nun ähnliche Volksentscheide in NRW und Berlin anstreben würde.

    ÖDP startet Unterschriftenaktion in Hamburg
    In Hamburg hat die ÖDP bereits eine Unterschriftenaktion gestartet. Kommen 10.000 Unterschriften bis zum Januar 2011 zusammen, ist die Voraussetzung für ein Volksbegehren, die Vorstufe eines Volksentscheids, geschaffen. Das DKFZ forderte ein komplettes Rauchverbot am Arbeitsplatz und Lothar Binding (SPD) kündigte am Dienstag an, einen Gruppenantrag im Bundestag stellen zu wollen.

    Nach der Wahl ist vor der Wahl: Wer glaubte, dass Bayern ein Einzelfall bleiben könnte, bemerkt jetzt schon, wie einzelne Dominosteine zu wackeln beginnen. Und da gilt der alte Spruch der 68er: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Mit Hamburg und Berlin stehe er schon im Kontakt, sagte Sebastian Frankenberger, Sprecher der ÖDP, in vielen Interviews, und Bayern sei ein Katalysator für die Bundesrepublik. Momentan denke er an eine Verfassungsklage oder einen bundesweiten Volksentscheid!

    NRW mit anderen Wahlregularien
    Falls sich Frankenberger übrigens NRW für einen Volksentscheid aussuchen sollte, hier gelten andere Regeln: Ein Volksbegehren muss 8 Prozent der Stimmberechtigten (insgesamt. ca. 13 Millionen) erreichen. Beim Volksentscheid entscheidet ebenfalls die Mehrheit, allerdings müssen mindestens 15 Prozent der Berechtigten abgestimmt haben.

    Einige Landesregierungen haben sich bereits zu Wort gemeldet. Beispielsweise Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bremen und Baden-Württemberg wollen am existierenden Gesetz nichts ändern. Mecklenburg-Vorpommern strebt allerdings ein bundesweit einheitliches Gesetz auf der Basis von Bayern an.

    Gesundheit als moralische Keule
    Ein treffender Kommentar zum Thema erschien in der „Welt“ vom 6. Juli: „Gesundheitsbewusstsein ist zum sittlichen Kompass geworden wie früher der christliche Glauben. Einst ging man in die Kirche, jetzt zelebriert man den Körperkult.“ Des Weiteren geht der Welt-Autor hart mit der CSU ins Gericht: „Dass Seehofer und Söder, nachdem sie sich herausgehalten haben, das Ergebnis nun im Nachhinein lauthals loben, sagt alles über den jämmerlichen Zustand der CSU. Ein gegenteiliges Resultat hätten sie genauso begrüßt.“ Man darf sich leider sicher sein, dass es in anderen Ländern oder auf Bundesebene ähnlich opportunistische Politiker für dieses Thema geben wird.

    Übrigens darf man neben die Urteile Ignoranz und Dummheit auch noch die Naivität setzen. Denn die Münchener Zeitungen sind voll mit Wirte-Kommentaren, wonach man das Gesetz nicht ernst nehmen wolle und es ja auch nicht flächendeckend durchgesetzt werden könnte. Letzteres wird genährt vom Kreisverwaltungsreferat München, das sich angesichts von Personalmangel auf Anzeigen und weniger auf Kontrollen konzentrieren möchte. Ob dies dann der Realität entsprechen wird, trieft vor Naivität. Spätestens wenn die gute alte deutsche Blockwartmentalität mit Anzeigen ihr Unwesen treiben wird.

    (DTZ 27/10)