Schlagwort: Sozialpolitische

  • Reger Dialog mit Partnern

    HAMBURG // Der Arbeitgeberverband der Cigarettenindustrie (AdC) besteht seit 70 Jahren. Die mächtige Interessenvertretung trägt auch eine hohe Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern. Das zeigt der Blick in die Geschichte.

    Am 19. Juli 1950 trafen sich in Frankfurt am Main Vertreter von 17 Tabakfirmen zur Gründungsversammlung des Arbeitgeberverbandes der Cigarettenindustrie. Heute bündelt der Verband die Arbeitgeberinteressen der vier großen auf dem deutschen Markt tätigen Zigarettenfirmen British American Tobacco (Germany), JT International Germany, Philip Morris und Reemtsma Cigarettenfabriken. Der Verband vertritt die Industrie in der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und gegenüber der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG), insbesondere bei Tarifverhandlungen.

    Gründung 1950
    Als sich die Gründungsmitglieder, unter anderem die Firmen Kosmos, Muratti, Gerdami, Haus Neuerburg, Reemtsma, Kyriazi Frères, Patras, Liberty, Garbaty und Austria in Frankfurt im „Haus der Kochkunst“ trafen, waren turbulente Jahre seit dem Ende des Krieges vorausgegangen. Man hatte das Fehlen eines Zusammenschlusses der Arbeitgeber als strategischen Nachteil erkannt. Im Protokoll der Gründungsversammlung heißt es, den „Luxus, für ihre Arbeitgeberinteressen keine Vertretung zu haben, könne sich unsere Industrie einfach nicht leisten. Die Gewerkschaften hätten diese Schwäche seit Jahren erkannt, und es nicht nur als ein gutes Recht, sondern als ihre Pflicht betrachtet, diese schwache Stellung auszunutzen“. Von den „übersteigerten Löhnen in der Hamburger Industrie in den Jahren 1949 und 1950” ist die Rede, und es wird das Fazit gezogen, der einzelne Arbeitgeber sei selbstverständlich immer schwach gegenüber einer Gewerkschaft“.

    Kämpferischer Auftakt
    Nach diesem eher kämpferisch geprägten Start des Verbandes entwickelte sich in der Folgezeit ein zwar nicht spannungsfreies, aber durchaus gutes Verhältnis zur Gewerkschaft, das sich für beide Seiten als vorteilhaft herausstellte.
    Statt für Arbeitskämpfe entschied man sich für Diskussionen. Es wurde gestritten, aber der Wille zum Ausgleich und zur Verständigung mit der jeweils anderen Seite war da.

    Da spielte es sicher eine Rolle, dass die Mittel für den Ausgleich in der Industrie vorhanden waren. Gleichzeitig waren auch der Respekt vor der Leistung der Arbeitnehmer und das Verständnis vorhanden, dass diese eine faire Gegenleistung verdienten. Nicht zuletzt bestimmte der kommerzielle Hintergrund die Situation: In einer Zeit wachsenden Konsums und des Kampfes um Marktanteile musste die Verfügbarkeit der Ware im Vordergrund stehen. Niemand wollte sich eine Blöße durch „out of stocks“ (deutsch: nicht vorrätig) geben.

    Diese Umstände waren die Grundlage für eine Entwicklung, die die Zigarettenindustrie zu einem sozialpolitischen Vorreiter machte.

    Erfolg der Gewerkschaft
    Im Jahr 1959 wurde in der Zigarettenindustrie als erster Branche die 40-Stunden-Woche eingeführt. Die Metallindustrie folgte erst 1967, und auch Ende der 1960er-Jahre arbeiteten die meisten Arbeitnehmer in Deutschland 41 Wochenstunden und mehr.

    Die 40-Stunden-Woche war nicht der erste und blieb nicht der letzte Erfolg der Gewerkschaft. Schon 1952, also lange bevor das Betriebsverfassungsgesetz in Kraft trat, hatten die Arbeitgeber dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Einstellung und Entlassung zugestanden. Die „Sudermühlen“-Regelung von 1978, ausgehandelt zwischen dem damaligen Verbandsvorsitzenden, dem Reemtsma-Personalvorstand Ernst Zander, und der NGG, sorgte als erste Vorruhestandsvereinbarung in der Industrie für riesigen Wirbel im Land und wurde Vorbild für den späteren gesetzlichen Vorruhestand. Als erste Branche führte die Zigarettenindustrie einen gemeinsamen Tarifvertrag für Arbeiter und Angestellte ein, als erste Branche zahlte sie 14 Monatsentgelte im Jahr. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.

    Umfangreiche Restrukturierungen
    Aber auch in die andere Richtung setzte man erfolgreich auf Konsens. In der Zeit großen internationalen Wettbewerbsdrucks der 1990er-Jahre willigte die Gewerkschaft in eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 37,5 Stunden ein – auch das ohne Vorbild in anderen Branchen. 2005 setzte man umfangreiche Änderungen im Manteltarifvertrag um, um den Wettbewerbsbedingungen Rechnung zu tragen. An vielen schwierigen Strukturveränderungen und dem immer wieder notwendigen Personalabbau wirkten die Arbeitnehmervertreter konstruktiv mit, immer unter sehr wirksamer Wahrung der Interessen der betroffenen Mitarbeiter. Auch die Sozialpläne in der Zigarettenindustrie setzten Maßstäbe.
    Bis heute sind die Industriebeziehungen in den Betrieben und auf Branchenebene vom Gedanken der Partnerschaft geprägt. Es gibt wohl kaum eine Branche in Deutschland, die von sich sagen kann, sie habe in 70 Jahren keinen einzigen Arbeitstag durch Arbeitskämpfe verloren. Genau das gilt aber für die Zigarettenindustrie. Betriebsräte werden in gemeinsam von AdC und NGG veranstalteten Seminaren ausgebildet, und zwischen den Tarifverhandlungen wird ein reger Dialog gepflegt. Auch in den Betrieben und Unternehmen werden Konflikte ausschließlich intern beigelegt, die Anrufung der Einigungsstelle ist nicht üblich. Nicht zuletzt sind die Betriebsräte und die Funktionsträger der Gewerkschaft wichtige Partner der Industrie und einflussreiche Meinungsbildner in Fragen der Industriepolitik.

    Die aktuelle Arbeit des Verbandes ist geprägt von der Situation der Branche, die eine Phase beispielloser Innovation ihrer Produkte, aber auch von Geschäftsmodellen und Arbeitsweisen erlebt. Dazu braucht es Regeln, die moderne Arbeitsformen mitdenken und den Organisationen im Wandel einen verlässlichen Rahmen bieten.

    Ausgezeichneter Ruf
    Als Arbeitgeber hat die Zigarettenindustrie auch heute einen ausgezeichneten Ruf. An ihren Standorten gehören die Unternehmen zu den ersten Adressen am Arbeitsmarkt und landen in den einschlägigen Rankings als Top-Arbeitgeber regelmäßig auf Spitzenplätzen. Sehr oft bleiben die Mitarbeiter den Unternehmen ein Arbeitsleben lang treu und Karrieren „vom Azubi zum Chef des Verkaufs“ sprechen für die Durchlässigkeit und Leistungskultur. Auch internationale Karrieren in den sämtlich zu internationalen Gruppen gehörenden Firmen sind nicht selten und führen bis in internationale Spitzenjobs. Durch die systematische Förderung des Nachwuchses in Ausbildungsprogrammen, Kombinationen von Studium und Ausbildung und ausgezeichneten Traineeprogrammen für Hochschulabsolventen legen die Firmen die Grundlage für diese Karrieren. Da sich solche Programme in vergleichbaren Märkten nur selten finden, sind die deutschen Organisationen für die globalen Unternehmen oft so etwas wie ein „Steinbruch“ für Nachwuchskräfte.

    Diese Qualitäten als Arbeitgeber führten, ebenso wie das kooperative Modell der Industriebeziehungen, zur Entwicklung hochqualifizierter, leistungsfähiger und schlagkräftiger Organisationen mit großer Motivation und Loyalität.

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