MÖNCHENGLADBACH // Seit 2011 lenken Michael Reisen und Paul Heinen gemeinsam die Geschicke des Bundesverbandes Deutscher Tabakwaren-Großhändler und Automatenaufsteller (BDTA). Der BDTA vertritt die gemeinsamen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Interessen des Tabakwaren-Großhandels sowie des Zigarettenautomaten aufstellenden Handels in Deutschland. DTZ sprach mit Reisen und Heinen über die Situation der Branche und die Aussichten für die Zukunft.
Herr Reisen, Herr Heinen, wie groß ist der BDTA eigentlich?
Michael Reisen: Uns sind 100 Unternehmen – meist mittelständisch strukturierte und inhabergeführte Betriebe mit rund 4500 Beschäftigten – angeschlossen. Unsere Mitgliedsbetriebe vertreiben alle in Deutschland herstellerseitig gelisteten Tabakerzeugnisse, als Randsortiment auch Süßwaren, alkoholische Getränke und Hygieneartikel. Zu den belieferten Kunden zählen Tabakwarenfacheinzelhandelsgeschäfte, Kioske sowie Tankstellen. Derzeit gibt es in Deutschland etwa 95000 stationäre Verkaufspunkte für Tabakwaren und 330000 Zigarettenautomaten. Insgesamt 59 Prozent des Gesamtabsatzes von Tabakwaren werden durch den Tabakwaren-Großhandel und die Automatenbetriebe vertrieben.
Und welche Themen bewegen Sie derzeit?
Reisen: Zentrales Thema ist Track & Trace. Die Maßnahmen zur Rückverfolgbarkeit für Zigaretten und Tabak zum Selberdrehen gelten ab dem 20. Mai 2019, für übrige Tabakerzeugnisse fünf Jahre später. Dabei fehlen der Branche noch immer – zehn Monate vor dem Life-Start des Systems – hinreichende und bestimmte Vorgaben im technischen und im verfahrenstechnischen Bereich. Die Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte geben schlicht kein klares Bild, insbesondere nicht in technischen Detailfragen. Nach dem Zeitplan der Kommission verbleiben dem Handel schlussendlich lediglich fünf Monate zur Implementierung eines komplexen Systems, was natürlich die Aussicht auf Erfolg deutlich schmälert.
Was kann die Branche tun?
Reisen: Unter großem Aufwand haben die Unternehmen des deutschen Groß- und Einzelhandels gemeinsam mit der Industrie einen Arbeitskreis installiert, der durch ständige Interaktion mit den zuständigen Stellen auf EU- und Bundesebene das unvollständige Bild der auf uns zukommenden Regulierung zu komplettieren sucht. Der BDTA selbst hat zudem einen gesonderten Arbeitskreis zu den damit verbundenen Fragen der Informationstechnologie gebildet, in denen die beteiligten Unternehmen daran arbeiten, eine einheitliche Lösung für alle Mitglieder zu finden. Wir haben damit dem Wunsch nach einer möglichst einheitlichen Branchenlösung Rechnung getragen, die auch den Lebensmittelhandel umfasst.
Paul Heinen: Mit dem angestrebten System der Rückverfolgung von Tabakwaren können lediglich legal hergestellte Tabakwaren in der legalen Lieferkette in der EU kontrolliert werden. Nach Einschätzung der Bundesregierung, die wir uneingeschränkt teilen, gibt es jedoch im legalen Handel in Deutschland keine illegalen Waren, was das Erreichen des Zwecks der Regulierung – nämlich den illegalen Handel zu bekämpfen – höchst unwahrscheinlich macht. Auch die engste Kontrolle der legalen Lieferwege wird die Kreise des illegalen Handels nicht stören. Es wirkt, als wolle man auf Eichen nach Äpfeln suchen.
Da kommt natürlich die Frage auf, wer das bezahlen soll?
Reisen: Die TPD 2 legt die Bereitstellung der Ausrüstung, die notwendig ist, Tabakerzeugnisse in bestimmten Zuständen zu erfassen, nämlich im Kauf, Verkauf, der Lagerung, dem Transport sowie bei unspezifizierten anderen Handhabungen, den Zigarettenherstellern auf.
Heinen: Dabei muss gemäß TPD diese Ausrüstung in der Lage sein, die erfassten Daten elektronisch zu lesen und an die entsprechenden Datenspeicher zu melden. Um die Meldung ordnungsgemäß durchführen zu können, ist aber das Zuführen weiterer Daten aus anderen Systemen erforderlich.
Zum Beispiel?
Heinen: Das sind etwa die Bestell- und Zahlungsstromdaten aus dem Warenwirtschafts- beziehungsweise Finanzsystem. Zu diesem Zweck müssen Interfaces errichtet werden. Am Ende wird über die Prozesskosten zu sprechen sein, die notwendigerweise durch das Erfassen von Daten entstehen – hier handelt es sich um rund 400 Millionen Erfassungsvorgänge pro Jahr allein im Tabakwarengroßhandel.
Reisen: Da es sich um Kosten handelt, die dem Produkt Tabakwaren zuzurechnen sind, werden die Zigarettenhersteller diese beim Festlegen des Kleinverkaufspreises, den ja allein sie bestimmen, entsprechend einpreisen müssen. In einem ersten Statement an den Großhandel per Rundschreiben wurde von vier Herstellern geäußert, dass man sich die Kostenübernahme für das Bereitstellen der Ausrüstung, die notwendig ist, um die Tabakerzeugnisse zu erfassen, vorstellt. Diese Interpretation – diese Eingrenzung der Kostenübernahme auf die für die unmittelbare Erfassung der Tabakprodukte erforderliche Ausrüstung – sehen wir nicht, sie lässt sich so auch nicht aus der Tabakdirektive ableiten. Die Tabakprodukthaftung – dazu gehört auch und in diesem Zusammenhang gerade die Rückverfolgbarkeit von Tabakerzeugnissen im Sinne der TPD 2 – kann nicht auf den Handel delegiert werden.
Heinen: Wobei es nicht trivial werden wird, zum Beispiel Kosten für Systemintegrationen und Interfaces zuzuordnen und zu bestimmen. Wir gehen indes davon aus, dass im Dialog zwischen den Herstellern von Tabakprodukten in Deutschland und den weiteren betroffenen Wirtschaftsteilnehmern in der Wertschöpfungskette Tabak eine sachgerechte Lösung gefunden wird.
Zeichnet sich im Hinblick auf Track & Trace denn eine Lösung der übrigen offenen Baustellen ab?
Heinen: Es gibt in der Tat noch eine Reihe von offenen Fragen, dies ist der Natur der Sache geschuldet. Der Zeitplan aus Brüssel erzwingt die parallele Bearbeitung von Sachverhalten, die voneinander abhängen und aufeinander aufbauen, also eigentlich und denklogisch nur nacheinander abgearbeitet werden können. In manchen Detailfragen wurden Fortschritte erzielt: So scheint es im Hinblick auf die KEP-Dienstleister…
Also die Branche der Kurier-, Express- und Paketdienste…
Heinen: …Licht am Ende des Tunnels zu geben. Am 14. Juni hat der Dienstleister DHL gegenüber dem Arbeitskreis Handel / Industrie zum Thema Track & Trace in Aussicht gestellt, seine Paketdienstleistungen auch nach dem 20. Mai 2019 noch für betroffene Tabakerzeugnisse erbringen zu können. Die übrigen Dienstleister haben sich dazu noch nicht eingelassen.
Reisen: Das ist natürlich zunächst eine gute Nachricht, insbesondere auch für die kleineren Mitgliedsunternehmen des BDTA – aber auch eine bedenkenswerte. Der BDTA wird nicht zulassen, dass es im Hinblick auf den Paketversand von Tabakprodukten zu einem Monopol kommt.
Ich möchte noch zu etwas anderem kommen. In jüngerer Zeit gibt es Bestrebungen, einen Dachverband für die „Tabakfamilie“ zu gründen. BTWE-Präsident Rainer von Bötticher hat beim BTWE-Branchendialog in Rösrath geäußert, dass der BTWE diesen Weg nicht mitgehen wolle. Wie steht der BDTA dazu?
Heinen: Wir beobachten diese Entwicklung durchaus mit Wohlwollen, jedoch auch mit einer gewissen Distanz. Es wird sich erweisen müssen, ob die Gründung eines Dachverbandes aus sich heraus geeignet ist, die divergierenden Interessen der unterschiedlichen Stakeholder zu einem einheitlichen Standpunkt zu verdichten. Ganz besonders die Hersteller der unterschiedlichen Tabakprodukte stehen hier zunächst und zuvörderst im Fokus. Die Handelsverbände BDTA und BTWE werden also voraussichtlich nicht zu den Gründungsmitgliedern eines Dachverbandes gehören.
Reisen: Aber selbstverständlich nicht deshalb, weil wir uns einer konstruktiven Zusammenarbeit verschließen wollten. Die Kooperation mit den anderen Verbänden, also derzeit insbesondere mit DZV, IGT und VdR, ist uns nicht nur wichtig, sie ist für uns essenziell. Vielmehr sind wir der Auffassung, dass es – zumindest nach derzeitiger Lage – besser ist, getrennt zu marschieren und vereint zu schlagen. Aufgrund unserer stark mittelständischen und familiengeprägten Großhandelsstruktur mit regionaler Verwurzelung sind wir wesentlich stärker von regionalen Märkten als von weltweiten Börsenkursen abhängig und beeinflusst.
Herr Reisen, Herr Heinen, ich bedanke mich für das Gespräch.
Interview: Marc Reisner
(DTZ31/18)