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  • Cannabis nur in Spezialgeschäften

    RÖSRATH // Endlich wieder eine Tagung mit echten Menschen – das war die einhellige Meinung der Teilnehmer am BTWE-Branchendialog, der kürzlich an der traditionellen Seminarstätte in Rösrath stattfand. Die Zahl der Vertreter von Handel, Industrie und Verbänden war groß, wenn auch etwa zehn Prozent der Angemeldeten kurzfristig absagen mussten, meist mit der Begründung, die auch die Tabakwelt seit rund zweieinhalb Jahren bewegt: Corona.

    BTWE-Geschäftsführer Steffen Kahnt begrüßte die Gäste stellvertretend für den Präsidenten des Verbandes: Torsten Löffler hatte nach einem Unfall passen müssen. Kahnt wies zunächst darauf hin, dass die Interessenvertretung zuvor turnusgemäß ein neues Präsidium gewählt hatte. Neue Namen muss sich die Branche jedoch nicht merken: Das alte Präsidium ist auch das neue. Demnach sind neben Torsten Löffler auch Hieronymus Joußen (1. Vizepräsident), Johannes Lomberg (2. Vizepräsident) und Schatzmeister Martin Jonas Mitglieder des BTWE-Spitzengremiums.

    Das Ende der Werbung
    Danach stellte Heike Maria Lau, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit bei JTI Germany, unter dem Motto „Last Man Standing – Die Werbung ist tot, es lebe der Fachhandel“ ihre Ideen und Ansichten zur Zusammenarbeit zwischen Industrie und Geschäftsinhabern vor. Lau betonte, ihrer Ansicht nach gewinne der Fachhandel immer weiter an Bedeutung. Daher sei ihrem Unternehmen die Partnerschaft mit dem Handel besonders wichtig. Aber auch die digitale Interaktion mit den Konsumenten habe große Bedeutung. JTI will zusätzlich mit einer starken Präsenz auf Events punkten sowie den Kunden neue Produktwelten erschließen.

    Mit Blick auf die konkrete Zusammenarbeit mit dem Handel nannte Lau die große Bedeutung des Point of Sales (PoS), an dem der Händler dem Kunden insbesondere starke Marken in speziellen Regalsystemen präsentieren könne – für die Industrie ein unverzichtbarer Aspekt. Aber auch die noch neue Welt des Omni-Channel-Marketing sprach Lau an. In diesem Zusammenhang nannte sie das von JTI speziell für den Handel aufgesetzte Online-Portal sowie das Digital Signage, also insbesondere Monitore, die in unmittelbarer Nähe zum Verkaufstresen installiert werden und passende Werbebotschaften ausspielen. Abschließend nannte Lau unter anderem die beiderseitige Expertise, das Erkennen von Trends und das Entwickeln von Innovationen als Stützen der Zusammenarbeit.

    Nachhaltigkeit im Blick
    Nachfragen aus dem Publikum bezogen sich insbesondere auf das Thema „Nachhaltigkeit“, das einige Zuhörer bei Zigaretten aufgrund der aufwendigen Cellophanierung als nicht mehr gegeben sahen. Auch wurde der Ruf nach mehr Präsenz des Außendienstes laut. Hier machten jedoch sowohl Lau als auch Vertreter anderer Konzerne deutlich, dass zwar die Tätigkeit während der Pandemie etwas reduziert worden sei, dass aber längst wieder alle Mitarbeiter dieses Bereichs im Einsatz seien.

    Nach dem Vortrag von Lau kam die mit Spannung erwartete Diskussionsrunde zur Cannabis-Legalisierung zusammen. Es fehlte Corona-bedingt die Grünen-Politikerin Canan Bayram. Auf dem Podium standen Hieronymus Joußen, Fachhändler und 1. BTWE-Vizepräsident, Niklas Kouparanis, Chef der Bloomwell Group, die auf den Vertrieb medizinischer CBD-Produkte spezialisiert ist, sowie der Rechtsanwalt Kai-Friedrich Niermann; es moderierte Steffen Kahnt. Das neugierige Publikum, das sich nicht zuletzt Hinweise zum praktischen Einstieg in den legalen Handel mit Cannabis-Erzeugnissen erhofft hatte, musste allerdings gleich zu Beginn einen herben Dämpfer hinnehmen. Niermann erklärte nämlich, nach seiner Einschätzung lasse der Entwurf des Cannabiskontrollgesetzes nicht zu, dass Cannabis einerseits sowie Tabak, Glücksspiel-Produkte wie Lotto und Alkohol auf der anderen Seite in einem Geschäft verkauft würden. Dies sei eine unzulässige Vermischung. Er rechne damit, dass es spezialisierte Geschäfte geben werde. Sowohl Niermann als auch Kouparanis sehen den Verkauf jedoch nur in Ausnahmefällen in Apotheken. Niermann sagte, die Apotheken würden diesen Part wohl mit übernehmen wollen, es sei jedoch abwegig, dass so ein Monopol entstehe. Ähnlich bewertete Kouparanis die Lage, der den ausschließlichen Cannabis-Verkauf über Apotheken gar als „fatalen Fehler“ bezeichnete.

    Cannabis-Markt
    Einig waren sich die Experten in der grundsätzlichen Bewertung der Situation. Es sei eine tolle Sache, dass die Legalisierung nun so weit vorangeschritten sei, meinte Niermann. Und Kouparanis erwartet sogar, dass „Deutschland nach der Legalisierung der größte Cannabis-Markt der Welt“ wird.

    Eine Lanze für den Fachhandel brach Praktiker Joußen. Er sagte, es sei wenig sinnvoll, Cannabis erst zu legalisieren und dann in „Tabu-Läden“ zu verkaufen. Aus seiner Sicht, so Joußen, spreche viel dafür, dass die dann legale Droge über den Tabakwarenfachhandel verkauft werde. Er nannte in diesem Zusammenhang die Erfahrung etwa mit Alterskontrollen, bereits durchgeführten Kontrollen durch Unternehmen und Behörden sowie die umfassenden Schulungen des Verkaufspersonals. Cannabis, führte Joußen aus, sei ein Genussprodukt für Konsumenten ab 18 Jahren, bei dem der Kunde selbst entscheiden solle, wo er es erwerbe. Diese Möglichkeit sollte jedenfalls auch im Fachhandel gegeben sein.

    Distributionsketten, Jugendschutz und Zusatzsortiment
    Das sah Kouparanis etwas anders: Niemand könne wissen, wie die Distributionsketten letztlich ausgestaltet würden, aber vermutlich würden sie stark reglementiert, insbesondere um den Jugendschutz sicherzustellen. Auch aus dem Publikum kamen viele Fragen, die das Interesse des Handels an diesem potenziellen Zusatzsortiment widerspiegelten. Dabei wurde deutlich, dass auch der Lebensmitteleinzelhandel sich ein entsprechendes Angebot vorstellen könnte. Besonders attraktiv wird der Markt dadurch, dass er sich von den getrockneten Blüten als Füllung für Joints weiterentwickelt und Cannabis-Produkte zum Beispiel in Liquids für E-Zigaretten oder als Süßigkeiten an die Konsumenten gebracht werden können. So wird auch das Handling des eigentlichen Naturprodukts Cannabis einfacher.

    Vor allem ein Aspekt bewegte zum Ende der Diskussionsrunde alle Zuhörer: Wann wird es so weit sein, dass Cannabis im deutschen Handel erhältlich ist? Darauf traf Rechtsanwalt Niermann eine klare Aussage: Am 1. Januar 2024 direkt nach Mitternacht würden die ersten Türen geöffnet, so seine Prognose.

    Krieg in der Ukraine und Corona-Pandemie
    Den zweiten Tag des BTWE-Branchentreffes eröffnete Steffen Kahnt in Vertretung des Verbandspräsidenten Löffler. Kahnt sprach unter anderem über die Folgen des Kriegs in der Ukraine und über den Umgang mit der Corona-Pandemie. Dabei bedankte er sich ausdrücklich bei der Tabakindustrie, die den Handel insbesondere während der Lockdowns unterstützt habe: „Um den Charakter in unserer Branche scheint es gut bestellt zu sein.“ Derzeit zögen die Kundenfrequenzen wieder an. Problematischer seien die explodierenden Kosten, allen voran Energie sowie Löhne. Für den Handel stehe als Folge derzeit vor allem die Wertschöpfung im Fokus. Derzeit werden rund 95 Prozent mit den klassischen Warengruppen (Tabak, Presse) erwirtschaftet – die zudem zu großen Teilen preisgebunden seien. Ein Ausgleich wegbrechender Erlöse sei da kaum möglich. Letztlich hätten viele Handelsunternehmen ein Problem: Es müsse ein Weg gefunden werden, mit dem Mehrkosten kompensiert und Marktanteile gewonnen und Erträge zumindest stabilisiert werden könnten.

    InterTabak 2022
    Für die Messe Westfalenhallen gab Angelika Bauer einen Ausblick auf die InterTabac 2022. Eine starke Marke, ein weltweit bekanntes Messeduo (mit der InterSupply) und ein einzigartiger Überblick über Produktneuheiten und Branchentrends seien die wichtigsten Pluspunkte dieser globalen Leitmesse. Derzeit sei man dabei, die Messe in die digitale Welt auszuweiten. Zunächst aber – nämlich im laufenden Jahr – biete das Messeduo rund 610 Aussteller, von denen 75 Prozent aus dem Ausland kämen und mehr als 160 erstmals auf den Messen vertreten seien. 2022 werde zudem das Rahmenprogramm erweitert, ein Internationaler Cigar Pavillon mit Produkten aus dem Handmade- beziehungsweise Premiumsegment eingerichtet und die Zusammenarbeit mit europäischen Handelsverbänden vertieft.

    Neue Produktarten und ihre Potenziale
    Zu den Potenzialen neuer Produktarten äußerten sich Jan Mücke, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse (BVTE; siehe Kasten rechts unten) und Dustin Dahlmann als Vorsitzender des Bündnisses für Tabakfreien Genuss (BfTG; siehe Kasten rechts oben). Bernd Lutter, Market Manager Germany bei Reemtsma, mahnte unter dem Motto „Build pur Future“ mehr Realismus mit Blick auf das tatsächliche Geschäft an. Er führte aus, dass 81 Prozent der 24,7 Milliarden Euro Gesamtumsatz der Branche in Deutschland auf Zigaretten entfielen, 16 Prozent auf andere Tabakerzeugnisse (OTP) – und ganze drei Prozent auf die neuen Produkte E-Zigarette, Tabakerhitzer und Nikotin-Pouches. Lutter machte einen aus seiner Sicht bedeutenden Dreiklang deutlich: Der Konsument erwarte ein breites Produktportfolio, das der Handel als Multi-Kategorie-Verkaufspunkt sowie als Influencer bereitstellen müsse, während die Industrie innovative Konzepte liefern und den Transformationsprozess der Branche vorantreiben müsse. Lutters Fazit: Die Next Generation Products (NGP) wüchsen weiter, aber klassische Tabakwaren blieben die Hauptumsatztreiber.

    Zukunft von Tabakerhitzern & Co.
    Andreas Thoma, Commercial Director Deutschland bei BAT, machte deutlich, dass die Produktgruppe Tabakerhitzer/E-Zigarette/Nikotin Pouches noch am Beginn ihres Lebenszyklus stünden. Derzeit befänden sich die Hersteller in den Phasen Markenbildung und -aufbau. Denn: Von den rund zwölf Millionen Nikotinverwendern in Deutschland nutzten gerade zwölf Prozent die neuen Kategorien. Laut Thoma erfüllt derzeit kein Produkt zu 100 Prozent die Erwartungen der (rauchenden) Konsumenten. Als Folge nutzten 40 Prozent der Verwender sowohl ein neuartiges Produkt als auch klassische Tabakwaren, 27 Prozent griffen neben Zigarette, Zigarillo und Co. zu zwei oder mehr neuartigen Erzeugnissen. Thoma rechnet mit einer wachsenden Auswahl an Produkten in diesem Segment: In fünf Jahren, so seine Schätzung, könnten Tabakerhitzer, E-Zigarette und Pouches bereits einen Absatzanteil von 20 Prozent ausmachen.

    In einem launigen Referat zeigte Bernd Raffelhüschen, Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge an der Universität Freiburg, wie angespannt die Verschuldungssituation Deutschlands ist. Aus dieser Konstellation und der Überalterung der Gesellschaft ergeben sich zahlreiche Fragen, die gerade überall diskutiert werden: Kein Thema, das den Tabakwarenfachhandel in seiner täglichen Arbeit beschäftigt – aber eines, das Deutschland auf Jahre hinaus beschäftigen wird.

    max