BERLIN // Seit mehr als 13 Monaten werden in Deutschland die Grundrechte als Mittel zur Bekämpfung der Corona-Pandemie eingeschränkt. Dazu zählen auch Zwangsschließungen zahlreicher Betriebe. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass die Länder die Corona-Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz unterschiedlich ausgelegt haben, will nun der Bund das Kommando in der Corona-Politik übernehmen. Das hat auch für den Einzelhandel weitreichende Konsequenzen.
Notbremse
„Die bundeseinheitliche Notbremse ist überfällig,“ sagt Kanzlerin Angela Merkel. Deshalb ergänzt die Bundesregierung das Infektionsschutzgesetz. Wenn ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 pro 100 000 Einwohner überschreitet, sollen dort ab dem übernächsten Tag bundeinheitlich festgelegte, zusätzliche Maßnahmen das Infektionsgeschehen bremsen. Diese Maßnahmen werden im neu eingefügten Paragraf 28 b des Infektionsschutzgesetzes geregelt.
Kontakbeschränkungen
Unter anderem sieht der Bund weitere Kontaktbeschränkungen für private Treffen und nächtliche Ausgangssperren vor. Für den Einzelhandel gelten folgende Regelungen:
Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, Verbrauchsgütern des täglichen Bedarfs und existenziellen Dienstleistungen soll sichergestellt bleiben. Deshalb dürfen der Lebensmittelhandel einschließlich der Direktvermarktung, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Stellen des Zeitungsverkaufs, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte und Gartenmärkte offen bleiben. Das gilt ebenfalls unter anderem auch für Poststellen. Voraussetzung bleiben die Beachtung entsprechender Hygienekonzepte und die Maskenpflicht.
Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes
Die am 13. April vom Bundeskabinett beschlossene Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes wird in den nächsten Tagen (nach Redaktionsschluss der DTZ-Prinzausgabe) im Bundestag beraten. Anschließend wird der Bundesrat beteiligt. Allerdings ist der Gesetzentwurf im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig.
Impfung
Dass die Bundesregierung nun das Zepter vollends in die Hand nimmt, stößt längst nicht überall auf Zustimmung. Angesichts des von weiten Teilen der Bevölkerung als zu langsam empfundenen Tempos bei den Impfungen hat die Regierung Ansehen im Hinblick auf die Krisenbewältigung verloren.
Skeptische Stimmen
So gibt es auch im Einzelhandel einige skeptische Stimmen. Gewarnt wird vor allem vor anhaltenden Lockdowns und noch härteren Einschnitten. „Jede Verschärfung der Maßnahmen bedeutet auch eine Verschärfung der Existenznot im Handel“, gibt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), zu bedenken. Sollte die Notbremse wie geplant umgesetzt werden, bedürfe es daher angemessener staatlicher Finanzhilfen, die über die aktuellen Wirtschaftshilfen hinausgingen. Im Übrigen gebe es keine plausible Begründung dafür, den Nicht-Lebensmittelhandel ab einer Inzidenz von 100 zu schließen, „Click & Collect“ zu verbieten und strengere Kundenbegrenzungen im Lebensmittelhandel einzuführen. „Der Ansatz der Bundesregierung ist nicht zielführend. Es braucht schnelle und wirksame Maßnahmen für Infektionsherde, keine symbolische Notbremse für den Handel“, so Genth weiter.
Testpflicht für Unternehmen
Kritik gibt es auch an der Testpflicht für Unternehmen. Diese wird nicht zuletzt wegen zu hoher Kosten und der damit einhergehenden Bürokratie kritisiert. Zudem seien die Corona-Tests nicht in ausreichend großer Zahl vorhanden.
Wie die Testpflicht für den deutschen Einzelhandel aussehen könnte, lässt sich in Berlin und Sachsen beobachten, denn in diesen beiden Ländern besteht bereits seit Ende März eine Testpflicht für das Personal. Arbeitgeber des Einzelhandels sind dort verpflichtet, den Beschäftigten, die an ihrem Arbeitsplatz präsent sind zweimal pro Woche ein Testangebot zu machen. Mitarbeiter mit direktem Kontakt zu Kunden müssen das Angebot annehmen und das Ergebnis vier Wochen aufbewahren. Die Kosten für die Tests sind von den Händlern zu tragen, können aber bei Vorliegen der Voraussetzungen im Rahmen der Überbrückungshilfe III erstattet werden.
Selbstständige, die direkten Kontakt zu Kunden haben, sind verpflichtet mindestens einmal pro Woche, eine Testung mittels eines Point-of-Care (PoC)-Antigen-Tests vornehmen zu lassen. Der Nachweis muss ebenfalls für die Dauer von vier Wochen aufgehoben werden.
red