Schlagwort: Nikotinsucht

  • „Hilfreiche Regeln erlassen“

    MAINZ // Namhafte Wissenschaftler aus den USA und aus Großbritannien haben eine Literaturstudie erstellt, die die Bedeutung der E-Zigarette für Rauchstopps in den Fokus nimmt. Die Autoren ermutigen das Gesundheitswesen, Medien und die politischen Entscheidungsträger, das Potenzial des Dampfens sorgfältiger abzuwägen, um so „die durch das Rauchen verursachte Sterblichkeit bei Erwachsenen zu reduzieren“.

    Federführend bei dem Papier war die amerikanische „Society for Research on Nicotine and Tobacco“ (SRNT), die 1994 gegründet wurde und mittlerweile 40 Mitglieder hat. Die SRNT gilt als einer der wichtigsten Berater beim „Family Smoking Prevention and Tobacco Control Act“ von US-Präsident Barack Obama.

    Geringere gesundheitliche Belastung In der nun vorgelegten Studie machen die Autoren deutlich, dass auch der Gebrauch von E-Zigaretten nicht risikofrei sei. Im Vergleich zum Rauchen klassischer Tabakzigaretten jedoch sei die gesundheitliche Belastung deutlich geringer.

    Das müsse die Politik in der Gesetzgebung berücksichtigen. Studien hätten ergeben, dass regulative Eingriffe, die das Dampfen einschränken sollten, negative Folgen gehabt hätten: So habe ein Heraufsetzen der Dampfer-Steuer in Minnesota zu einem Anstieg des Konsums von Zigaretten geführt. Schätzungen zufolge könnte eine einheitliche Besteuerung allein in diesem Bundesstaat in zehn Jahren 2,7 Millionen Raucher dazu bringen, mit dem Rauchen aufzuhören.

    Vorurteile gegenüber E-Zigaretten Außerdem gehen die Wissenschaftler auf die gängigsten Vorurteile gegenüber dem Dampfen – vor allem junger Menschen – ein und widerlegen sie anhand von bereits durchgeführten Untersuchungen. Insbesondere geht es dabei um diese Thesen:

    [bul]Jugendliche, die nie zuvor geraucht hätten, könnten über das Nutzen von E-Zigaretten ans Rauchen herangeführt werden („Gateway-Hypothese“).

    [bul]Nikotin kann die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen, das Verdampfen von Nikotin könnte andere gesundheitliche Probleme nach sich ziehen.

    [bul]Dampfen könne gerade bei jungen Menschen, die nie zuvor geraucht hätten, eine Nikotinsucht verursachen. Insgesamt sei es ein Fehler, die möglichen Risiken für junge Menschen so stark in den Mittelpunkt zu rücken.

    Dampfen hilft bei Raucherentwöhnung Stattdessen sei der Nutzen einer ausgewogenen Politik zum Thema E-Zigarette ungleich größer: „Während Beweise darauf hindeuten, dass Dampfen bei der Raucherentwöhnung eindeutig hilft, könnte dieser positive Einfluss viel größer sein, wenn die für die öffentliche Gesundheit Verantwortlichen dieses Potenzial ernsthaft in den Fokus rücken würden. Raucher könnten so genauere Informationen zu den relativen Risiken des Dampfens und Rauchens erhalten, die Politik könnte hilfreiche und zielgerichtete Regeln erlassen. Das passiert nicht.“

    Das Überraschende an dem Aufsatz verbirgt sich im Anhang. Dort ist notiert, dass einige der Autoren als Berater oder im Auftrag großer Pharma-Unternehmen wie Pfizer und Achieve Life Sciences tätig sind. Diese Firmen haben grundsätzlich ein Interesse daran, pharmazeutische Raucher-Entwöhnungshilfen zu verkaufen.

    red

  • „Viele Fehlinformationen“

    LONDON // Seit kurzem hat das amerikanische E-Zigaretten-Unternehmen Juul einen Medizinischen Direktor. Auf dem jüngsten „E-Cigarette Summit“ in London haben Marc Reisner, Chefredakteur von DTZ, und Sophie Jean, Korrespondentin in London, Mark Rubinstein getroffen, um über jugendliche Dampfer, Lungenerkrankungen und die Aussichten für sein Unternehmen zu sprechen.

    Doktor Rubinstein, was haben Sie bisher gemacht?
    Mark Rubinstein: Ich bin Mediziner und war bis zu meinem Eintritt bei Juul Labs praktizierender Arzt. Mein Schwerpunkt liegt in der Gesundheitsprävention bei Teenagern. Und mein Ziel ist es, zu verhindern, dass Jugendliche mit dem Rauchen anfangen.

    Und wie sind Sie zu Juul gekommen?
    Rubinstein: Ich bin zu Juul gekommen, um dort über Nikotinsucht zu recherchieren. Viele meiner Kollegen an der Uni haben das Potenzial der E-Zigarette gesehen, waren aber zugleich frustriert über die Fehlinformationen, die auch von unserer Universität kamen. Es gab eine klare Trennung zwischen Pros und Antis. Ich wollte helfen, aufklären, vermitteln.

    Das ist auch notwendig. In den USA gab es schlimme Fälle von Lungenerkrankungen, die offenbar durch Vitamin-E-Acetat verursacht wurden …
    Rubinstein: Lassen Sie mich zunächst klarstellen, dass Juul kein Cannabis, kein Cannabisöl oder THC-Produkte verkauft, so dass es hier keinen unmittelbaren Zusammenhang zu unseren Produkten gibt.


    Okay, aber warum ist dieses Acetat so gefährlich?

    Rubinstein: Weil laut CDC …

    … das ist eine amerikanische Gesundheitsbehörde …
    Rubinstein: … das Öl aus dem Vitamin E-Acetat offenbar die Lunge reizt und Ablagerungen in der Lunge hinterlässt. Das wiederum kann eine sogenannte lipoide Pneumonie verursachen – eine Entzündung der Lunge.

    Können Verbraucher gefährliche Flüssigkeiten erkennen?
    Rubinstein: Eine gute Frage. Aber ich fürchte: leider nicht. Vitamin-E-Acetat hat ziemlich genau die gleiche Farbe und Viskosität wie THC-Öl. Wenn Sie also eine gepantschte THC-Patrone hochhalten und schütteln, sieht der Inhalt genauso aus wie reines THC.

    Das THC-Öl wurde gestreckt?
    Rubinstein: Genau. Es ist wie zu den Hochzeiten des Kokains, als die Leute den Stoff mit Talkumpuder verschnitten, um ihre Gewinne zu maximieren. Das machen diese Kriminellen auch mit illegalem THC. Die CDC empfiehlt daher auch, THC-Öl nur in Apotheken zu kaufen.

    Die US-Gesundheitsbehörde FDA teilte bereits am 5. September mit, dass die Krankheit mit einem Vitamin E-Acetat in Verbindung gebracht werden könne. Glauben Sie, dass die Behörde Fehler begangen hat, als sie die Öffentlichkeit nicht früher warnte?
    Rubinstein: Ich denke, jeder in den Staaten ist ein wenig ratlos darüber, warum es so lange gedauert hat, bis man zur Wurzel dieses Problems gelangt ist. Wenn die betroffenen jungen Männer früher zugegeben hätten, dass sie Cannabis-Produkte konsumiert haben, hätte man da schneller sein können.


    Sie sprechen immer von jungen Männern …

    Rubinstein: Ja, denn es waren fast nur junge Männer. Die Zahlen und das Alter stimmen mit den Daten von Cannabis-Konsumenten überein und unterscheiden sich von denen von E-Zigaretten-Nutzern. E-Zigaretten werden fast zu gleichen Teilen von Männern und Frauen gedampft.

    Dieses Problem hat den gesamten Markt getroffen. Wird er sich erholen?
    Rubinstein: Wir hoffen es. Viele Menschen sind irritiert, weil immer von Cannabis- oder E-Zigaretten die Rede ist. Diese scheinbare Verbindung macht den Leuten Angst.

    Ist es ein Problem, dass von E-Zigaretten gesprochen wird, statt etwa von ENDS?
    Rubinstein: Eine solche Umbenennung wäre sinnvoll. Bei ENDS handelt es sich um elektronische Geräte zur Nikotinabgabe, Tabakerhitzer werden also auch erfasst.

    Dabei steht ENDS für Electronic Nicotine Delivery Systems.
    Rubinstein: Genau.

    In Deutschland verzeichnen die Fachgeschäfte Umsatzeinbrüche um bis zu 80 Prozent. Wie sieht es in den USA aus?
    Rubinstein: Da gibt es Sorgen vor allem bei den Anbietern offener Systeme, weil diese leicht manipuliert werden können. Auch bei Patronen gibt es keine absolute Sicherheit. Aber auch aus wirtschaftlichen Gründen ist das Befüllen von Pods mit THC-Öl nicht sinnvoll. Das gibt es praktisch nicht.

    Gibt es Ihrer Meinung nach Länder, die der E-Zigarette besonders offen gegenüberstehen?
    Rubinstein: Großbritannien ist sicher das freundlichste Land in Bezug auf E-Zigaretten und Schadensminderung im Allgemeinen. Für mich ist es interessant, dass E-Zigaretten unter Ärzten ein so heißes Thema geworden sind. In mancher Hinsicht ähnelt die Situation der bei Impfstoffen, die oft umstritten sind. Ich bin jedoch der Ansicht, dass alle Ärzte Impfstoffen positiv gegenüberstehen.

    Muss man Ärzte besser über die relativen Risiken von E-Zigaretten im Vergleich zum Rauchen aufklären?
    Rubinstein: Das ist eine schwierige Frage. Je mehr Untersuchungen belegen, dass E-Zigaretten Erwachsenen den Übergang von Tabakzigaretten erleichtern, dass E-Zigaretten einen weitaus geringeren Gehalt an giftigen Dämpfen aufweisen als Zigaretten und dass E-Zigaretten nicht mit den Lungenerkrankungen zusammenhängen, desto größer wird auch die Akzeptanz unter Medizinern sein.

    Noch aber ist Nikotin das Thema vieler Mediziner?
    Rubinstein: Ja, und es gibt viele Fehlinformationen, etwa, dass Nikotin Krebs verursacht oder der Schuldige an vielen Krankheiten ist – und nicht die Nebenstoffe der Tabakverbrennung.

    Wie gefährlich ist denn Nikotin in E-Zigaretten?
    Rubinstein: Ich würde niemals sagen, dass es sicher ist, und es ist definitiv für Jugendliche nicht sicher. Leider experimentieren Jugendliche, wir wissen das, mit allen möglichen Dingen. Sehen Sie: Ich habe in einer Klinik für Teenager gearbeitet, und wir hätten dicht machen können, würden Jugendliche nicht experimentieren, denn wir hätten keine Fälle von sexuell übertragbaren Krankheiten, ungewollten Schwangerschaften und so fort. Aber im Ernst: Ich möchte nicht, dass Jugendliche Nikotin konsumieren. Aber für erwachsene Raucher ist das Nikotin ohne die schädlichen Bestandteile der Verbrennung definitiv weniger gefährlich.

    Juuls Hauptzielgruppe sind Raucher. Was halten Sie vom Dual-Use?
    Rubinstein: Das ist eine gute Frage. Wissen Sie, wir forschen intensiv. In Kürze werden wir eine Studie veröffentlichen, die zeigt, dass Geschmacksrichtungen für Erwachsene wichtig sind, um einen vollständigen Wechsel zu vollziehen. Raucher, die Frucht- und andere Aromen verwenden, werden mit größerer Wahrscheinlichkeit vollständig auf E-Zigaretten umsteigen als Erwachsene, die Tabakaromen verwenden und deshalb eher parallel rauchen und dampfen.

    Wie sehen Sie die Rolle von E-Zigaretten in – sagen wir – fünf Jahren?
    Rubinstein: In den USA liegt der Tabakzigarettenkonsum jetzt auf dem niedrigsten Stand aller Zeiten, auch bei Teenagern. Das ist auch eine Folge der zunehmenden Verbreitung von E-Zigaretten, die sich fortsetzen wird. Es wäre toll, wenn Erwachsene das Rauchen aufgeben würden. Ich selbst mag auch das Passivrauchen nicht.


    Sie haben nie selbst geraucht?

    Rubinstein: Wissen Sie, als ich ein Teenager war, habe ich es versucht. Aber ich mag den Geruch nicht.


    Und dampfen Sie?

    Rubinstein: Ich habe es einmal versucht, als ich zu Juul kam, um zu sehen, wie es schmeckt.


    Herr Rubinstein, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

    max

    (DTZ 49/19)