Schlagwort: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

  • „Uns beschäftigen viele Gesetze“

    MÖNCHENGLADBACH // Seit 2011 lenken Michael Reisen-Hall und Paul Heinen als Vorsitzende die Geschicke des [link|https://www.bdta.de/]Bundesverbandes Deutscher Tabakwaren-Großhändler und Automatenaufsteller (BDTA)[/link]. DTZ sprach mit den Verbands-Managern über die Herausforderungen in der Branche.

    Herr Reisen-Hall, Herr Heinen, wir befinden uns in Ihrer neuen Geschäftsstelle in Mönchengladbach. Was ist denn aus dem traditionsreichen Standort Köln geworden?
    Michael Reisen-Hall: Seit 1948 war unser Verband in Köln ansässig und konnte dank seines Standorts schnell auf die bundespolitischen Aktionen aus Bonn reagieren. Die Zeiten haben sich nun geändert. Politik wird heute in Brüssel und Berlin gemacht. Während der Corona-Pandemie haben wir festgestellt, dass ein Festhalten am vergleichsweise teuren Sitz in Köln nicht mehr zeitgemäß und seriöse Lobbyarbeit digitaler und ortsflexibler geworden ist.

    Und warum dann nicht Berlin?
    Reisen-Hall: Wir haben den Standort unserer Geschäftsstelle intensiv überdacht und zeitgleich die Büroeinheit in Mönchengladbach gefunden. Neben der repräsentativen Lage bildet der Geschäftsstellensitz weiterhin den „Mittelpunkt“ zwischen Brüssel und Berlin. Auch von unserem neuen Büro können wir die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Interessen des Tabakwaren-Großhandels sowie des Zigarettenautomaten aufstellenden Handels in Deutschland vertreten.

    Apropos Verbandsarbeit: 2023 richtet der BDTA traditionsgemäß die Unternehmertagung in Dresden aus. Was darf die Branche erwarten?
    Paul Heinen: Wie im vergangenen Jahr wird auch 2023 der Veranstaltungsort Dresden sein. Aufgrund von Umbauarbeiten im Hotel Taschenbergpalais Kempinski findet die Jahrestagung am 26. und 27. April ausnahmsweise im Hyperion Hotel Dresden am Schloss statt. Wir bleiben aber unserer letztjährigen abendlichen Lokalität treu und richten unsere Abendveranstaltung erneut im Restaurant „Elbegarten“ aus, wo unser traditioneller Begrüßungsabend stattfindet.
    Reisen-Hall: Auch die satzungspflichtigen Versammlungen wie die Vorstandswahlen für die Amtszeit 2023 bis 2025 stehen an. Ich stelle mich für eine Wiederwahl für den Vorsitz zur Verfügung. Allerdings scheidet mein Kollege Paul Heinen als Vorstandsmitglied und stellvertretender Vorsitzender aus. Er wird aber dem Verband weiter als Generalbevollmächtigter verbunden bleiben.

    Sie sprachen eingangs von neuen Entwicklungen auf europäischer und bundespolitischer Ebene. Worauf beziehen Sie sich?
    Heinen: Aktuell beschäftigen wir uns mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022 hinsichtlich der Verpflichtung der Unternehmen, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu erfassen. Wir gehen davon aus, dass das BAG unter dem Eindruck, dass die Einschläge des Europäischen Gerichtshofs näherkommen, der bundesrepublikanischen Politik einen Impuls verleihen wollte, sich mit der Causa zu befassen und ein Gesetz zu machen, in dem die Sache klar und widerspruchsfrei geregelt ist. Aus diesem Urteil entspringt nun die Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, ein entsprechendes Gesetz zu entwickeln.
    Reisen-Hall: Das Thema ist aus BDTA Sicht heikel und es wird mit den bereits bestehenden Aufzeichnungspflichten noch komplizierter. Wir nehmen aber beruhigt zur Kenntnis, dass in den bereits formulierten Gutachten zur Entscheidung des BAG ausdrücklich erwähnt wird, dass der Gesetzgeber ganz erheblichen Spielraum bei der gesetzgeberischen Gestaltung des Arbeitszeitgesetzes hat, dabei von den geltenden europäischen Richtlinien im Grunde nicht eingeschränkt ist, solange der Gesetzgeber die Arbeitgeber verpflichtet.

    Was ist Ihnen dabei wichtig?
    Heinen: Dass im Gesetzgebungsprozess neben den branchenübergreifenden Petita die besonderen Anforderungen im Außendienst berücksichtigt werden. Ein praktisches Beispiel, das das alltägliche Geschäft im Außendienst widerspiegelt: Die Arbeitnehmer respektive Außendienstler bekommen von ihren Arbeitgebern Tagespläne, in denen steht, welche Kunden oder Automaten in einer gegebenen Woche anzufahren sind. Schon die Tagespläne sind mit dem Input des Außendienstlers erstellt und es erfolgen auf Wunsch des Außendienstlers regelmäßig Umstellungen der Tagespläne. Das führt – einvernehmlich – zu Tagen mit beispielsweise fünf Stunden Arbeitszeit und zu Tagen mit deutlich mehr als acht – aber weniger als zehn – Stunden Arbeitszeit, ohne dass bezahlte Überstunden zustande kommen. Darüber hinaus ist der Außendienstler frei in der Festsetzung seines Arbeitsbeginns. Sehr viele Automatenfahrer ziehen beispielsweise die frühen Morgenstunden aus verkehrstechnischen Gründen vor und beenden frühzeitig ihren Tagesdienst. Diese Flexibilität ist erhaltenswert im Sinne von Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
    Reisen-Hall: Nicht zuletzt erhoffen wir uns eine konkrete Handhabe, die etwa besagt, dass die öffentlich-rechtliche Arbeitszeit …

    Das sind 48 Stunden an sechs Werktagen zu je acht Stunden.
    Reisen-Hall: … und die privatrechtliche Arbeitszeit – also das, was im Arbeitsvertrag oder in der Betriebsvereinbarung steht beziehungsweise Usus ist, also in der Regel 40 Stunden an fünf Tagen – nebeneinander existieren. Das vermeidet zukünftige Diskussionen bei behördlichen Überprüfungen von Arbeitszeiten, die aus den nun bestehenden Rechtsunsicherheiten entstehen könnten.

    Welche Vorhaben auf europäischer Ebene beschäftigen Sie?
    Reisen-Hall: Die Europäische Kommission bewertet zurzeit die Tabakproduktrichtlinie und die Tabakwerberichtlinie und gibt allen Interessenten die Gelegenheit, im Rahmen einer öffentlichen Konsultation ihre Meinung kundzutun. Gegenstand der Bewertung sind Produktregulierung, Werbung, Verkaufsförderung und Sponsoring im weiteren Kontext anderer politischer Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs. Die von der Europäischen Kommission angefertigten Fragebögen unterscheiden sich je nach Zielgruppe – Unternehmen, Nichtregierungsorganisation, EU- oder Nicht-EU-Bürger, Behörde und so fort – in ihren Fragen und Schwerpunkten.
    Heinen: Für alle genannten Richtlinien gilt: Die neuen Richtlinien sollen in die Ziele von BECA, der europäischen Krebsbekämpfungsinitiative, und „Tobacco Free Generation“, den Europe‘s Beating Cancer Plan, – definiert als Raucherquote in Europa 2040 unter fünf Prozent – einzahlen. Infolge des von der EU-Kommission gesteckten politischen Ziels ist es durchaus denkbar, dass im Gesetzgebungsprozess der Richtlinien eine Versachlichung der Betroffenen, sprich: der Industrie und dem Handel, drohen könnte. Ebenso ist es vorstellbar, dass die EU-Kommission ihre eigenen Kompetenzen überschreiten wird. Das könnte in weitere repressive, prohibitive und paraprohibitive Tabakkontrollmechanismen münden, die Hersteller und Handel unverhältnismäßig belasten.

    Und damit die Konsumenten. Das würde ein Anschwellen des Schwarzmarkts bedeuten …
    Reisen-Hall: Ja, angesichts der derzeitigen Rechtslage und der vorherrschenden Preise für Tabakwaren gibt es bereits einen riesigen illegalen Markt. Die zunehmende Komplexität der globalen Handels- und Logistikstrukturen – etwa der elektronische Handel und die Verbreitung von Post- und Paketdiensten – führt logischerweise zu einer weiteren Zunahme von Schwarzmarktgütern, die nicht nur die besagten Gesundheitskampagnen zur Bekämpfung des Rauchens untergraben, sondern auch von den offiziellen Behörden zur Bekämpfung des illegalen Handels immer schwerer aufgespürt werden können.

    Ich nehme an, Sie sprechen zum Beispiel vom Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung, kurz Olaf?
    Reisen-Hall: Stimmt. Die Aufgabe der politischen Entscheidungsträger muss es sein, ihre Politik zu ändern, um die Zunahme illegaler Aktivitäten zu minimieren und die Nachfrage der rund 90 Millionen Verbraucher in Europa mit legalen Produkten abdecken zu können. Die legale Vertriebskette für Tabakerzeugnisse ist eine Geschäftsebene, die fiskalische Interessen befriedigt und gesundheitspolitischen Zielen gerecht wird. Sie ist somit die einzige Ebene, die transparent ist und durch Regulierung kontrolliert und beeinflusst werden kann.

    Einen ersten Aufschlag zur Überarbeitung der Europäischen Tabaksteuerrichtlinie sollte es ja bereits im vergangenen Jahr geben …

    Heinen: Richtig. Anders als angenommen aber hat die Europäische Kommission bisher keinen solchen Entwurf veröffentlicht. Die Hintergründe für den Aufschub sind uns nicht bekannt. Wir beteiligen uns aber auch nicht an Spekulationen.
    Reisen-Hall: Auch wenn es bis dato keinen offiziellen Entwurf von Seiten der Generaldirektion Steuern und Zollunion gibt, begrüßen wir eine Anpassung der Mindeststeuersätze innerhalb der Europäischen Union. Das ist nur eine der vielen Maßnahmen, die die Kommission unbedingt rechtzeitig ergreifen muss, um illegale Aktivitäten zu unterbinden, die dem legalen Handel und der Gesundheit der Verbraucher schaden.
    Heinen: Darüber hinaus müssen die neuartigen Erzeugnisse in der neuen EU-Steuerrichtlinie berücksichtigt werden, damit einige rechtshängige Produkte einen rechtlichen Rahmen erhalten und Planungssicherheit für Industrie und Großhandel gewährleistet ist. An der Stelle sei noch erwähnt, dass es Hinweise darauf gibt, dass neuartige Erzeugnisse weniger gesundheitsschädlich sind als klassische Tabakerzeugnisse. Aus gesundheitspolitischer Sicht wäre es daher sinnvoll, dass die Besteuerung von neuartigen Erzeugnissen ihre potenziell geringere Schädlichkeit widerspiegelt.

    Sprechen wir über das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Dieses ist zu Beginn 2023 in Kraft getreten, könnte aber infolge der kommenden Europäischen Lieferkettenrichtlinie nochmals überarbeitet werden. Was sagen Sie dazu?
    Heinen: Die Europäische Lieferkettenrichtlinie soll im Vergleich zum aktuellen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz noch einen Schritt weitergehen und sowohl die Gruppe der betroffenen Unternehmen als auch den Gegenstand deutlich ausweiten. Unter anderem will der europäische Gesetzgeber eine zivilrechtliche Haftung in die Richtlinie einbauen. Wir sind jedoch der Ansicht, dass die Haftungsbestimmungen dem Grundsatz Rechnung tragen müssen, dass die Sorgfaltspflicht in erster Linie eine Verpflichtung von Mitteln ist und dass Unternehmen nicht für Schäden haftbar gemacht werden können, die sie nicht verursacht oder zu denen sie nicht direkt beigetragen haben – sei es vorsätzlich oder fahrlässig. Dieser Grundsatz ist wohlgemerkt bereits in den nationalen Rechtssystemen vorgesehen. Auch gerade deshalb muss der Gesetzgeber eine Fragmentierung des europäischen Binnenmarktes vermeiden, da wir sonst Gefahr laufen, dass 27 verschiedene nationale Umsetzungen der Richtlinie koexistieren.

    Reisen-Hall: Verstehen Sie uns nicht falsch: Wir begrüßen den Schutz unseres Klimas und die Stärkung von Menschenrechten auf allen Wertschöpfungsebenen. Allerdings beißt sich die europäische Idee mit der unausgereiften praktischen Ausarbeitung der Richtlinie. Wir haben hier ein erneutes Beispiel für eine Regulierung, die besonders den Mittelstand benachteiligt und wieder einmal allein einen bürokratischen Mehraufwand begünstigt. Wir erhoffen uns hier vom Gesetzgeber Verhältnismäßigkeit, Praktikabilität und Rechtssicherheit, damit die Richtlinie den Unternehmen tatsächlich die notwendigen Schritte zu nachhaltigeren Lieferketten ermöglicht.

    Herr Reisen-Hall, Herr Heinen, vielen Dank für das Gespräch.

    max