Schlagwort: Jahrhundertflut

  • „Aufgeben kommt nicht infrage“

    DÖBELN (DTZ/ergü). „Döbeln versinkt in der Mulde!“ Der Hilferuf ging am 3. Juni durch die Medien. „30 Hektar der Innenstadt überflutet. 70 Menschen gerettet …“
    Die Große Kreisstadt in Mittelsachsen hat ein altes Problem, das in der Neuzeit immer gravierender zu Tage tritt. Der historische Stadtkern wird von zwei Armen der Freiberger Mulde umschlossen, so dass die City eine malerische Insel ist. Schwillt der Fluss jedoch kann sich das Wasser nicht ausbreiten und überschwemmt die Innenstadt. Dies geschah zuletzt vor elf Jahren in verheerendem Maße. Man nannte die Katastrophe damals „Jahrhundertflut“. Kaum waren die Schäden beseitigt, die Gebäude restauriert und die Stadt wieder ein Schmuckstück, kam an jenem 3. Juni 2013 die nächste „Jahrhundertflut“. Niemand ahnte, dass ein Jahrhundert so kurz sein könnte. Jetzt geht die Angst um in Döbeln. Werden die Hausbesitzer und Geschäftsinhaber noch einmal die Kraft aufbringen oder geben sie auf? Wird die Innenstadt zur Geisterstadt?[p][/p]

    Historischer Tabakladen …[p][/p]
    „Nein“, sagt Lutz Roßberg (57) beim DTZ-Gespräch. „Aufgeben kommt für uns nicht infrage.“ Sein Haus habe die Fluten von 1897, 1953 und 2002 überstanden, also werde, wie immer, die gesamte Familie – sie wohnt im Geschäftshaus – alle Anstrengungen unternehmen, die neuen Flutschäden zu überwinden. Wenn es auch von Mal zu Mal schwerer falle.[p][/p]
    Das Haus in der Breite Straße 4 beherbergt eines der ältesten Tabakwarengeschäfte Deutschlands in Familienbesitz. Emil Roßberg gründete es 1807. Seinen Namen trägt es noch immer. Die historische Ladeneinrichtung aus massiver Eiche stammt aus dem Jahr 1897 und steht bis heute in Diensten. „Nach 2002 haben wir sie wieder aufgearbeitet.“[p][/p]

    Auf 60 m² Ladenfläche werden heute neben Tabakwaren auch Spirituosen, Presse, Lotto und Geschenkartikel angeboten. „Tabakwaren liegen umsatzmäßig an der Spitze“, berichtet der Geschäftsinhaber. „Wir führen das Vollsortiment, haben auch einen Humidor mit Havannas und anderen Premiumzigarren. Viele Fachinformationen entnehmen wir der Tabak Zeitung.“ [p][/p]
    Neben ihm sind vier Teilzeitkräfte tätig, sämtlich mit großem Engagement. Das Geschäft genießt einen guten Ruf über die Stadtgrenzen hinaus. Neben dem breiten Sortiment sorgen Freundlichkeit und ausgeprägter Service dafür.[p][/p]

    … kämpft mit Wasser und Schlamm[p][/p]
    Aufmerksam auf das Geschäft wurde DTZ durch den Handelsverband Sachsen, Geschäftsstelle Chemnitz. Auf Anfrage teilte er mit, dass das Döbelner Mitgliedsunternehmen der Branche Tabakwaren, Emil Roßberg, von der Flut stark betroffen ist und Hilfe benötigt. Jedoch war der Telefonanschluss bis zum Mittag des 18. Juni tot. „Sie sind der erste Anrufer, der uns erreicht“, sagte Petra Roßberg, die Ehefrau des Inhabers. Mit ihr vereinbaren wir für den Folgetag ein Gespräch mit Lutz Roßberg. [p][/p]

    „Nachdem es auch wieder Strom gibt, sind wir in der Familie voll mit Säuberungsarbeiten und Schadensbeseitigung beschäftigt“, berichtet er als Erstes. „Vier Entfeuchter laufen Tag und Nacht. Durchzug wäre, wie wir 2002 feststellten, am Besten. Doch bei dem unbeständigen Wetter und der hohen Luftfeuchtigkeit wäre das zu gefährlich für die, die hier arbeiten.“ Das Austrocknen sei die Hauptfrage. Es dürfte fünf bis sechs Monate dauern. Eine bestimmte Wand braucht sogar ein ganzes Jahr. Die Grundmauern und der total geflutete Keller sind fast 300 Jahre alt. Das Wasser sitzt tief im Mauerwerk. Bis das einigermaßen trocknet … „aber wir haben das halbe Geschäft schon wieder geöffnet. Lieber die Hälfte als gar nichts. Und wir brauchen ja jeden Euro.“[p][/p]

    2002 stand das Wasser im Geschäft 2,45 m hoch, außen noch höher. Der Gesamtschaden, der größte am Gebäude, belief sich auf rund 220 000 Euro. „Ein Glück, dass es diesmal nicht ganz so schlimm ist.“ Da das kommunale Warnsystem diesmal früh reagierte, erstmals am Freitag, dem 31. Mai, konnten die Händler rechtzeitig Vorsorge treffen. In der Nacht zum Sonntag stieg die Mulde denn auch an. Roßbergs begannen am zeitigen Morgen mit den Rettungsmaßnahmen. Alles, was möglich ist, wurde ausgeräumt oder höher gelagert oder im Haus nach oben getragen. [p][/p]

    „Es hat fast alles gut funktioniert. Etwa 90 Prozent des Warenbestandes konnten wir retten. Den Humidor brachten wir in letzter Minute in Sicherheit. Das Wasser stand bereits auf dem Treppenabsatz.“ Der Höchststand des Wassers wurde mit 1,30 m am Gebäude und rund einem Meter im Laden gemessen. Die dicke Schlammschicht, die es hinterließ, soll der Warnung zufolge auch Giftstoffe enthalten haben. [p][/p]

    „Komplett futsch ist die Büroeinrichtung. Die Ladeneinrichtung werden wir wieder aufarbeiten. Am schlimmsten sind die Gebäudeschäden.“ Auch die Umsatzeinbußen dürften gewaltig sein. „Für die exakte Ermittlung der Schäden ist es zu früh. Nach meiner vorläufigen Schätzung wird sich die Schadenssumme zwischen 25 000 und 30 000 Euro bewegen.“[p][/p]
    Das Geld zu beschaffen, fällt nicht leicht. Angesichts der Insellage versichert keine Gesellschaft die Geschäfte. Neue Kredite schon nach elf Jahren wieder aufzunehmen, kann sich kaum ein inhabergeführtes Geschäft leisten. Die schnelle Hilfe des Landes ist begrüßenswert, doch nicht ausreichend. Wie es weiter geht, wissen die Wenigsten. „Was wir selbst tun können, tun wir, und das ist nicht wenig“, unterstreicht Lutz Roßberg.[p][/p]

    DTZ 26/13