MÖNCHENGLADBACH // Seit 2011 lenken Michael Reisen und Paul Heinen als Vorsitzende die Geschicke des Bundesverbandes Deutscher Tabakwaren-Großhändler und Automatenaufsteller (BDTA). Der BDTA vertritt die gemeinsamen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Interessen des Tabakwaren-Großhandels sowie des Zigarettenautomaten aufstellenden Handels in Deutschland. DTZ sprach mit Reisen und Heinen über die Situation der Branche – insbesondere über die Aussichten für die Zukunft.
Herr Dr. Reisen, wie groß ist der BDTA eigentlich?
Michael Reisen: Uns sind 100 Unternehmen – meist mittelständisch strukturierte und inhabergeführte Betriebe mit rund 10.000 Beschäftigten – angeschlossen. Unsere Mitgliedsbetriebe vertreiben alle in Deutschland herstellerseitig gelisteten Tabakerzeugnisse, als Randsortiment auch Kaffee, Süßwaren, alkoholische Getränke und Hygieneartikel. Zu den belieferten Kunden zählen Tabakwaren-Facheinzelhandelsgeschäfte, Kioske sowie Tankstellen. Insgesamt gibt es in Deutschland etwa 95.000 stationäre Verkaufspunkte für Tabakwaren und knapp 280.000 Zigarettenautomaten.
Sie sind im Rahmen Ihrer Mitgliederversammlung in Dortmund wieder zu Vorsitzenden gewählt worden. Wie war dieses persönliche Zusammentreffen nach Corona-bedingter Pause?
Paul Heinen: Es war ein großer Fortschritt, dass wir uns endlich wieder im Kreise unserer Mitglieder und anderen Stakeholder von Angesicht zu Angesicht austauschen konnten. In so einem Rahmen kann man viel besser Gedanken ansprechen, die über die Formalien einer Vorstandssitzung, einer Unternehmertagung oder einer Mitgliederversammlung hinausgehen. Uns und unseren Mitgliedern galt der ‚Kameradschaftsabend‘ schon immer als eine wichtige Komponente der Jahrestagung. Wir sind froh darüber, dass wir unseren inneren Optimismus behalten haben und in Dortmund die virtuelle Welt für die zwei Tage verlassen konnten.
Reisen: Auch die satzungspflichtigen Versammlungen selbst waren erfolgreich. Im Rahmen unserer Mitgliederversammlung konnte beispielsweise nicht nur unsere Wiederwahl bestätigt werden, sondern auch der Vorstand für die Amtszeit 2021 bis 2023 gewählt werden. An dieser Stelle möchte ich mich bei den ausscheidenden Vorstandsmitgliedern Stephan Schmachtenberg, Otto Ilbertz Tabakwaren, und Daniel Ludwig von Willi Weber ganz herzlich für ihre erfolgreiche Zeit im BDTA-Vorstand bedanken.
Es gibt aber auch zwei neue Vorstandsmitglieder.
Reisen:Genau, Menas Wolf von Wolf Tabakwaren und Maximilian Zehfuß von Willi Weber. Die beiden haben mit ihren 34 beziehungsweise 31 Jahren unseren Vorstandskreis erheblich verjüngt, sodass wir mit einem Durchschnittsalter von rund 49 Jahren eine optimale Mischung aus Erfahrung, Kompetenz und Weitsicht geschaffen haben. Wir sehen uns für die kommenden Herausforderungen gut aufgestellt.
Von welchen Herausforderungen sprechen Sie konkret?
Reisen: Auch unsere Branche ist von den Folgen der Corona-Krise nicht verschont geblieben. Durch die monatelang geschlossenen Gaststätten und Restaurants ist der Gesamtumsatz an Innenautomaten erheblich gesunken. Mit den aus unserer Sicht vernünftigen Alternativen zur Eindämmung der Pandemie und den damit einhergehenden Lockerungen bieten sich unseren Mitgliedsunternehmen wieder Möglichkeiten zu gesunden. Es sei aber auch zu erwähnen, dass sich der Automat, insbesondere der Außenautomat, in der Pandemie als beständiges Warenversorgungssystem herauskristallisiert hat, das Menschen ohne Infektionsrisiko nutzen konnten. Der Warenautomat bewies einmal mehr – nicht nur in der Versorgung von Tabakwaren – seine Daseinsberechtigung.
Heinen: Es hat sich bekanntlich der gesellschaftliche Konsens herausgebildet, dass Tabakprodukte wegen der ihrem Genuss inhärenten gesundheitlichen Risiken kontrolliert und reguliert werden müssen, ins-besondere dass keine Abgabe von Tabakprodukten an nicht Volljährige erfolgen darf. Das Thema Jugendschutz nimmt der BDTA ernst. Zwischen 2004 und 2009 haben unsere Mitgliedsunternehmen mit einem Aufwand von mehr als 300 Millionen Euro den technischen Jugendschutz am Zigarettenautomaten realisiert. Derzeit arbeiten wir – gemeinsam mit der Deutschen Kreditwirtschaft – am Rollout der nächsten Generation, die Altersverifikation und Zahlung anhand der kontogebundenen Bankkarte in einem Online-Verfahren vornimmt. Damit treiben wir nicht nur den technischen Fortschritt am Automaten voran, sondern garantieren fortwährend den Jugendschutz und verbessern gleichzeitig die Abwicklung des Kaufs am Warenautomaten.
Welche Erkenntnisse haben Sie persönlich aus der Pandemie gezogen?
Reisen: In erster Linie sind die persönlichen Kontakte, insbesondere diejenigen zur Branche, durch keine digitalisierte Kommunikation zu ersetzen. Wir anerkennen, dass das Homeoffice mit Maß und Vernunft durchaus seine Vorteile bietet und nicht seinem kritischen Ruf vor der Pandemie gerecht wird. Weiter können einige Termine über die bekannten Online-Dienstleister unkompliziert gehalten werden.
Da klingt ein Aber mit …
Reisen: Ja, das Problem ist auf lange Sicht der Ausbau des eigenen Netzwerkes. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass bereits bestehende Kontakte ohne Weiteres gepflegt werden können, der Aufbau neuer Kontakte allerdings sehr schwierig erscheint.
Heinen: Außerdem sind Fachkräfte nicht nur vor der Pandemie schwierig zu finden gewesen, sondern bleiben auch weiterhin eine Rarität auf dem Arbeitsmarkt. Dies betrifft freilich auch andere Branchen; wir aus unserer Sicht können allerdings festhalten, dass die Beschaffung neuen Personals in den für uns relevanten Bereichen trotz des allgemeinen Beschäftigungswachstums in Deutschland eine pandemieunabhängige Problematik ist und bleibt.
Kommen wir zu einem anderen Thema: Wie gehen Sie mit den immer beliebteren Großpackungen um?
Heinen: Dieser Trend ließ sich schon vor Jahren im Bereich der OTP, besonders bei Feinschnitt, beobachten, die heute in Tabakeimern über die Ladentheke gehen. Dieses Phänomen hat die Industrie mittlerweile auf die Zigarette übertragen. In den Niederlanden gibt es bereits höchst praxisnahe Zigarettenpackungen mit 92 Zigaretten. (lacht). Das ist eine fragwürdige Entwicklung im Bereich der Packungsgestaltung und -menge. Aufgrund der Besteuerungssystematik für Tabakwaren ist dies nichts weiter als eine Preisermäßigung durch die Hintertür.
Reisen: Dabei darf man auch nicht vergessen, vor welche flächenmäßigen Herausforderungen die Einzelhandelskollegen durch die Größe und Vielzahl an Packungsvarianten gestellt werden.
Die Industrie stellt den Handel vor Herausforderungen. Aber auch von politischer Seite gibt es Maßnahmen, mit denen die Branche zurechtkommen muss. Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Ergebnisse der Bundestagswahl?
Heinen: Lassen Sie mich zunächst auf die gesetzlichen Errungenschaften der vergangenen Großen Koalition in diesem Jahr eingehen. Zum einen sahen wir uns auf Verbandsebene mit dem Gesetzesentwurf zur Tabaksteuermodernisierung konfrontiert. Dieses Gesetz stellt im Hinblick auf die klassischen Tabakprodukte eine Fortsetzung des erfolgreichen Modells aus dem Zeitraum von 2011 bis 2016 dar, das seine Vorteile für alle Stakeholder bereits unter Beweis gestellt hat. Mit der Fortführung eines solchen Steuermodells bleibt der Markt auch künftig von Verwerfungen verschont und Planungssicherheit und Vorhersehbarkeit bleiben bestehen. Der Aspekt der Planungssicherheit betrifft aber nicht nur Industrie und Handel, sondern gilt auch und insbesondere für die Verwaltung.
Reisen: Im Hinblick auf die sogenannten „neuen“ Produkte wie Tabakerhitzer und E-Zigaretten sind wir jedoch der Auffassung, dass eine Besteuerung dieser Produktkategorien zwar grundsätzlich sinnvoll ist, aber eine solche Besteuerung moderat sein und erst im Zeitverlauf entwickelt werden sollte, um diesen Produktkategorien zu ermöglichen, ihre Marktfähigkeit zu erlangen. Die in den Jahren 2002 bis 2005 ambitioniert formulierten Ziele der Tabaksteuereinnahmen wurden aufgrund der unverhältnismäßigen Tabaksteuererhöhungen schon damals deutlich verfehlt und gelten als Mahnmal einer wirkungslosen Steuerpolitik.
Was hätte die Politik besser machen können?
Reisen: Sie hätte im Bereich der neuen Produkte gerade dieses negative Beispiel berücksichtigen sollen. Es besteht nun die Gefahr, dass diese Produktkategorien mit Blick auf eine „Tobacco Harm Reduction“ im Umgang mit dem Rauchen als sinnvolle Ergänzungen wegfallen könnten.
Heinen: Außerdem bereitet uns Mittelständlern das kommende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz einigen Kummer. Zum Verständnis: In Deutschland ansässige Unternehmen werden ab einer bestimmten Größe verpflichtet, ihrer Verantwortung in der Lieferkette in Bezug auf die Achtung international anerkannter Menschenrechte besser nachzukommen. Wir begrüßen durchaus den Leitgedanken des Gesetzes, dass der Intransparenz und der oft mangelhaften Durchsetzung von Menschenrechten in den Lieferketten entgegengewirkt werden soll.
Aber?
Heinen: Das Problem für den Mittelstand liegt in der mittelbaren Betroffenheit durch Zulieferfunktionen bei großen Betrieben mit 3000 respektive 1000 Beschäftigten in Folge der im Gesetzestext verankerten Vereinbarung von Weitergabeklauseln. An dieser Stelle wird sich nicht ausnahmsweise, sondern in der Regel für ein kleines oder mittleres Unternehmen die Frage stellen, ob es nicht betriebswirtschaftlich sinnvoller ist, das Geschäft nicht zu machen.
Reisen: Dieses Gesetz ist in der Theorie gut gedacht, in der praktischen Ausarbeitung allerdings schlecht gemacht. Wir haben hier ein weiteres Beispiel für Regulierung, die den Mittelstand benachteiligt und die Großen begünstigt. Ein allenfalls symbolpolitischer Fortschritt wird bezahlt mit dem Verlust hochwertiger Arbeitsplätze im deutschen Mittelstand, ohne an einem der im Gesetzestext genannten, zweifellos beklagenswerten Missstände auf der Welt auch nur einen Funken zu ändern.
Zurück zu Ihrer Bewertung der Bundestagswahlen. Was wünschen Sie sich von der neuen Regierung?
Reisen: In erster Linie muss gerade wegen der Auswirkungen der Pandemie auf das sensible Gefüge unserer Wirtschaft der Mittelstand entlastet werden. Obskure Ideen wie die mögliche Wiedereinführung einer Vermögenssteuer wirken nicht förderlich auf eine zu reaktivierende Wirtschaft in Deutschland. Gerade in Zeiten, in denen unsere mittelständischen Unternehmen keinen garantierten Gewinn erzielen, aber ihr vorhandenes Vermögen dennoch zu einer steuerlichen Zahlungsverpflichtung führt, würde dies zu vermehrten Firmenpleiten führen. Ökonomische Vernunft und politische Klugheit sprechen schlicht gegen eine Reaktivierung der Vermögensteuer.
Herr Reisen, Herr Heinen, ich bedanke mich für das Gespräch.
max